Reinhold Mitterlehner hat sich in faktisch allen Umfragen zur Kanzler-Präferenz vor Werner Faymann gesetzt. Eine biologische Erklärung: weil er größer ist als der SPÖ-Obmann. Das sagt eine Studie über die US-Präsidentschaftswahlen (Autoren: Stulp et al. 2012). Aber das allein ist es sicher nicht, denn dann müsste auch Heinz-Christian Strache vor dem Bundeskanzler liegen.

Die Umfrageergebnisse haben auch eine Vorgeschichte. Monatelang traten im Pressefoyer Michael Spindelegger und Faymann "auf Augenhöhe" vor die Kameras - der eine langweiliger als der andere.

Sie durch Minister zu ersetzen half nicht. Denn die Zuseher hatten die Gründe schnell begriffen - wie auch nach der Abstimmung auf dem SPÖ-Parteitag, als sich Faymann nicht in die ZiB 2 traute. Ein mutiger Regierungschef reagiert anders.

In Untersuchungen (z. B. jenen der Berliner Politologin Paula Diehl) dominiert die These, dass bei positiver Wirkung der Körpersprache innere und äußere Merkmale zueinanderpassen müssen. Das war auf dem Parteitag wahrscheinlich Faymanns größter Fehler: eine aufgesetzt kämpferische Rede zu halten, dann aber zu feig zu sein, vor der großen Öffentlichkeit den Denkzettel in eine mobilisierende Offensive zu verwandeln. Dazu ist der Regierungschef freilich auch rhetorisch zu schwach.

Wir wissen nicht, wie Mitterlehner in einer solchen Situation reagieren würde - er hatte ja auf dem ÖVP-Parteitag nach der heuchlerischen Verabschiedung Spindeleggers 99 Prozent erhalten. Aber in seinen Reaktionen vermied er selbst Anflüge von Schadenfreude. Der ÖVP-Chef war noch keiner wirklichen Kraftprobe ausgesetzt. Die kommt im März 2015, wenn sich SPÖ und ÖVP wie von beiden Seiten angekündigt auf einen gemeinsamen Vorschlag für eine Steuerreform einigen sollten.

Bis jetzt übt sich der Vizekanzler in einer unaufgeregten Sprache. Sie ist fast frei von Polemik, und ein Nein (z. B. zur Vermögenssteuer) wirkt eher wie ein Jein. Seine Gesten sind sparsam wie beim ähnlich auftretenden deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier von der SPD, der in den Personenumfragen ebenfalls ganz vorn liegt.

Faymanns "Spindoktoren" werden viel zu tun haben. Eines aber können sie nicht - ihn einen Kopf größer machen. Sie müssen, und das reicht über ihren Wirkungskreis hinaus, die Stellung ihres politischen Patienten sowohl gegenüber Mitterlehner als auch gegenüber Strache deutlich stärken. Das geht inhaltlich mithilfe von Steuerreform und ÖGB.

Die öffentliche Attraktivität ist etwas ganz anderes. Hier wird man zunächst eine innerparteiliche Maßnahme überlegen - und den ebenfalls "großen" und sympathischen Mitterlehner-Versteher Rudolf Hundstorfer in den Präsidentschaftswahlkampf 2016 wegloben. Um Faymann keiner unnötigen Konkurrenz bei der Nominierung eines Spitzenkandidaten für die nächste Nationalratswahl auszusetzen.

Eine vorgezogene Bundeswahl (etwa auf Juni 2015) wird es nach dem SPÖ-Wahlergebnis vom Freitag nicht geben. Der Größenvergleich bleibt vorläufig ein Umfragefaktor. (Gerfried Sperl, DER STANDARD, 1.12.2014)