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Vier Minister präsentierten am Montag eine Hotline für Angehörige von Jugendlichen, die sich radikalisieren.

Foto: apa/Fohringer

Wien – Über acht der vierzehn mutmaßlichen Jihadisten, die am Freitag im Zuge von Razzien in Wien, Linz und Graz festgenommen worden sind, hat das Grazer Straflandesgericht angesichts von Flucht-, Verdunkelungs- und Tatbegehungsgefahr Untersuchungshaft verhängt. Bei sechs Beschuldigten wies das Gericht am Montag die Anträge auf Verhängung von U-Haft allerdings zurück, damit wurden die Männer wieder auf freien Fuß gesetzt.

Konkret geht es in dem Ermittlungsverfahren um den Verdacht der Mitgliedschaft in terroristischen Vereinigungen - und dass die Festgenommenen junge Menschen für den Bürgerkrieg in Syrien rekrutiert haben könnten.

"Bosnische Zelle" in Wien

Laut der Belgrader Zeitung Vecernje novosti gehört etwa der Prediger Mirsad O. nach einer Analyse der bosnischen Geheimdienste zu einer Gruppe von 200 Jihadisten aus Bosnien, dem serbischen Sandschak und dem Kosovo. Angeblich befinden sich die Chefs der "bosnischen Zelle" in Wien, diese wird als stärkste Jihadisten-Gruppe Europas bezeichnet.

Als Nummer eins der Gruppe wird Muhammad Fadil P., Imam der Tewhid-Moschee in Wien-Meidling, genannt. Seine Salafisten-Organisation sei die wichtigste logistische und finanzielle Stütze für Europas Gotteskrieger, heißt es.

Nach dem Verbot von IS-Symbolen und Reiseeinschränkungen für Minderjährige verstärkt die Regierung nun die Präventionsarbeit für gefährdete Jugendliche. Nach einer Beratungshotline für Lehrer präsentierten am Montag gleich vier Minister eine neue Hotline für Angehörige, Freunde und Kollegen, die befürchten, dass junge Menschen in ihrem Umfeld radikalisiert werden und zum Islamismus abdriften.

Mobiles Beratungsteam

Am anderen Ende der Leitung sitzt ein mehrsprachiges Team, dazu kann ein mobiles Team, das für Kriseninterventionen ausgebildet ist, jederzeit ausrücken, um vor Ort Hilfe zu leisten.

Grundsätzlich ist die Beratung kostenlos, vertraulich und anonym - es sei denn, es ist Gefahr in Verzug. Dann werden nach Rücksprache mit dem Anrufer schon die persönlichen Daten an den Verfassungsschutz weitergegeben, erklärte Familienministerin Sophie Karmasin (ÖVP), deren Ressort für die Beratungsstelle zuständig ist.

Angesichts der Debatte, ob mutmaßliche Jihadisten Sozialleistungen beziehen, stellte Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) klar, dass der Missbrauch von Sozialleistungen durch im Ausland kämpfende oder im Gefängnis sitzende Extremisten gar nicht möglich sei. Denn es sei gesetzlich jetzt schon klar geregelt, dass jene, die die Regeln verletzen, weder Arbeitslosengeld noch Notstandshilfe noch Mindestsicherung bekommen.

Rolle der Medien für Rekrutierung

Passend zu dem Themenkomplex lud das Innenministerium am Montag zu einem Gespräch mit Thomas Jäger von der Universität Köln. Der Politikwissenschafter forscht, wie sich die Berichterstattung über Jihadismus auf Radikalisierung und Rekrutierung im Westen auswirkt.

So sei etwa die Frage, warum junge Menschen nach Syrien gehen, obwohl es Videos von Hinrichtungen gibt, falsch gestellt. "Viele gehen dorthin, gerade weil es das gibt", erklärt Jäger.

Dass die zum Teil ikonografischen Darstellungen von Kriegsverbrechen als Propaganda eingesetzt werden, ist bekannt. Jäger plädiert dafür, dass klassische Medien ihre Rolle wieder stärker aufgreifen, diese Bilder alternativ interpretieren, sie zu entlarven versuchen und den Diskurs mit der Politik fordern.

"Was sehe ich nicht?"

"Wir dürfen das Narrativ nicht denjenigen überlassen, die ihre Geschichte mit einem grausamen Video erzählen wollen. Die Kommunikationsstrategie der Terroristen kann durchbrochen werden, indem die Ereignisse nicht nur übernommen, sondern hinterfragt werden", führte der Experte aus.

Dort, wo viel Rauch und Feuer sei, werde auch verstärkt hingesehen - Stichwort Kobane. Jäger: "Journalisten müssen sich daher fragen: Was sehe ich in diesem Moment nicht? Und ist das beabsichtigt?"

Medien und Politik stünden damit gleichermaßen in der Verantwortung, reflektiert und sachlich auf das Phänomen zu reagieren. Eine Hotline, wie sie am Montag präsentiert wurde, sei in einer Seelsorgefunktion sinnvoll, sagt Jäger, aber: "Es müssen auch Gruppen involviert sein, die Zugang zum salafistischen Milieu haben." (Julia Herrnböck, Nina Weißensteiner, DER STANDARD, 2.12.2014)