Früher, da konnten die Haie zuschauen, wenn jemand eine Jean anprobierte. Früher, da waren die Mantarochen Zeuge, wenn sich jemand auszog und dann doch nicht zwischen dem gelben oder dem roten Shirt entscheiden konnte. Der Panoramablick aus den Umkleidekabinen eines Modehauses der Dubai Mall in das Zehn-Millionen-Liter-Aquarium sollte der Clou sein: Das, waren sich die Macher sicher, würde die Leute scharenweise in das Kleiderkaufhaus locken.

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Foto: Corbis/Design Pics/Ian Cumming

Sie lagen nicht falsch - nur blieben die Kunden zu lange: in den Umkleidekabinen. Ohne sich umzuziehen, ohne sich zu entscheiden, sogar ohne am Ende überhaupt etwas zu kaufen. Sie zogen einfach den Vorhang hinter sich zu, setzten sich auf den Hocker und ließen sich vom Blick durchs 75 Zentimeter dicke Spezialglas ins angrenzende Riesenaquarium verzaubern.

32 ausgewachsene Tigerhaie ziehen dort ihre Runden, zahllose Rochen scheinen durchs sattblaue Wasser zu fliegen, und ein Tunnel aus ultragehärtetem Acrylglas führt über den vermeintlichen Meeresboden, sodass Besucher trockenen Fußes durch das Mega-Aquarium gehen können und über sich Millionen Liter Wasser mit 33.000 Meeresbewohnern haben. Von dort aus, das war wohlüberlegt, haben sie wiederum keinen Einblick in die Umkleidekabinen des nebenan platzierten Geschäfts.

Will man haben

In Dubai braucht man so etwas. Da will man es haben, da baut man das, was allen anderen zu aufwändig oder zu kostspielig ist. Oder zu verrückt. Alles, was derlei Weitererzählwert hat, ist am Golf gefragt, denn es zieht Besucherscharen aus aller Welt an: am besten zum Einkaufen. Seit die Dubai Mall mit 1.200 Geschäften und gut 502.000 Quadratmetern Verkaufsfläche auf drei Etagen als das größte Kaufhaus der Welt eröffnet wurde, zählt das Aquarium mittendrin zu den Besuchermagneten - obwohl das Becken schon einmal leckschlug und Wassermassen die Umgebung in Windeseile fluteten.

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Foto: Reuters/Ahmed Jadallah

Der Zwischenfall hat die Aufmerksamkeit nur noch mehr gesteigert, dem Ganzen sogar einen zusätzlichen Thrill verliehen. Menschen blieben sämtlich unverletzt, längst ist die Scheibe geflickt. Und angeblich sind bei der Panne nicht einmal Fische zu Schaden gekommen. Shopping in Dubai lebt von der Inszenierung, von den Rekorden, ausgerechnet von einem Eislaufring in Olympia-Abmessungen mitten in derselben Mall, vom größten Goldbasar der Welt - nicht etwa im Freien, nicht im Stadtzentrum, sondern ebenfalls in diesem Megakaufhaus.

Das ganze Jahr über

In erster Linie erbaut fürs Guinness-Buch der Rekorde - und um noch mehr Leute zum steuerbegünstigten Einkaufen dorthin zu locken. Sowieso das ganze Jahr über - und ganz besonders zur Weihnachtszeit, wenn Paläste wie dieser sogar in den Emiraten mit Tannen und goldenem Lametta dekoriert sind. In der Weltrangliste der größten Einkaufszentren ist die Dubai Mall inzwischen auf Platz 14 abgerutscht, was die Geschäftsfläche angeht. Ein Unding. Deshalb wird auf Geheiß des Herrschers Scheich Mohammed nun zügig Abhilfe geschaffen. Eine neue Weltrekord-Mall ist bereits in Planung - größer als alles, was es in China und sonst wo gibt.

Weil man sich in Dubai nicht gerne die Superlative abnehmen lässt. Was danach kommen wird? Nach ein paar Jahren? Mit Sicherheit ein noch größeres Einkaufszentrum, weil sich das Spiel immer wiederholen, die Spirale sich weiterdrehen wird. Platz eins hält die Dubai Mall nach wie vor, was das Besucheraufkommen angeht: 65 Millionen Menschen kommen jedes Jahr zum Einkaufen hierher, zum Essen und Trinken in 120 Restaurants und Cafés, zum Schlittschuh- oder Karussellfahren sowie zum Naschen im größten Zuckerlgeschäft der Welt. Und natürlich nebenbei zum Fischeschauen.

Klischee-Kuppeln

Dabei ist diese Mall nur eine unter mehreren riesigen Einkaufszentren im Emirat. In der Ibn Battuta Mall sind die Wände eines Themenbereichs mit Hieroglyphen verziert und ganz im Look des alten Ägypten gehalten, ein Stück weiter wähnt man sich im Klischee-Persien unter Kuppeln mit türkisfarbenen Fliesen, noch ein Stück weiter in China. In die Mall of the Emirates wurde bekanntermaßen eine Skipiste integriert - mit 400 Meter langer Abfahrt, mit Rodelbahn und der Möglichkeit zur Schneeballschlacht. Die exklusivsten Zimmer des unmittelbar angrenzenden Hotels haben Pistenblick. Besonders beliebt sind sie bei Arabern, die extra lange aufbleiben, um mitten in der Nacht vom Sofa aus den ersten Schneefall ihres Lebens zu bestaunen. Denn Punkt halb drei Uhr früh geht die vollautomatische Beschneiungsanlage an, die der Piste regelmäßig ein Wintergesicht für den nächsten Tag bescheren soll.

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Foto: Reuters/Ahmed Jadallah

Ein wenig Altes gibt es auch noch: den Gemüsemarkt im Zentrum nicht weit vom Creek mit den arabischen Handelsschiffen, die Gassen der Goldhändler, die Shops voller preiswerter Elektronik im alten Teil der Stadt. Und ständig neue Einkaufszentren vom Reißbrett - mit allen Marken von Weltrang, mit Shopping-Festivals und Schlussverkäufen. Auf dass die Kassen klingeln und zwischen den Schaufenstern niemals Ruhe einkehren möge.Wer wider Erwarten herausfinden will, wo in der Welt er eigentlich ist, kann sich im Café einen Shake aus Kamelmilch ordern, im Restaurant arabisch essen gehen, im Musikgeschäft eine CD mit Arab-Techno kaufen - oder einfach schauen, wer da neben einem bummelt: Männer in knöchellangen weißen Dischdaschas, Frauen in schwarzen Gewändern.

Trendige Dekors für Tage mit 25 Grad

Was sie alle eint: die Freude am Shopping - und daran, gut unterhalten zu werden. Nur die Umkleidekabinen mit vermeintlichem Meerblick gibt es in der Dubai Mall inzwischen nicht mehr - um die Kauflust zu fördern. Wo einst der Blick zu den Haien war, stapeln sich heute in einem raumhohen und sehr breiten Regal leichte Pullover für die Wintermonate auf der arabischen Halbinsel - dünne Baumwollleiberln für Tage mit 25 Grad. Und alle in trendigen Dekors. Seit dem Umbau laufen die Geschäfte besser, weil die Leute wieder Augen für die Waren haben, um die es geht. Und nicht für Haie, Rochen, Meereszauber.

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Foto: REUTERS/Mohamed al-Sayaghi

Wer den Fischen trotzdem nah kommen will, kann sie füttern gehen, muss dafür durchs Treppenhaus hinter die Kulissen des Aquariumbetriebs und kann von außen uneinsehbar ganz oben am Beckenrand ein Glasbodenboot besteigen und so auf Rundfahrt mitten im Einkaufszentrum gehen - Hand ins Wasser halten verboten! Gegen Aufpreis gibt es Sackerln mit Fischfutter.Ob Haie auf Jingle Bells stehen? Ob sie die Weihnachtsmelodien hören, die verzerrt aus den Lautsprechern dröhnen? Damian Prendergast zuckt mit den Schultern. "Ganz sicher nicht, weil die Beckenwand so dick ist", sagt der australische Meeresbiologe, der für das Wohlbefinden der Dauergäste zuständig ist, und: "Schade eigentlich." (Helge Sobik, Rondo, DER STANDARD, 5.12.2014)