Das Springer-Hochaus in Berlin. Bis 2018 soll in der Nachbarschaft der neue Axel-Springer-Campus stehen.

Foto: Andreas Eymannsberger, https://twitter.com/andieymi

Blick in den Newsroom der "Welt", der eine Online-to-Print-Strategie verfolgt.

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Beim Start-Up-Beschleuniger üben Grazer Entwickler pitchen.

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Manchmal geht der digitale Wandel sogar für Christina Müller zu schnell. "Axel Springer Ideas", noch vor zwei Jahren eines der Leitprojekte des Konzerns auf dem Weg zum "führenden digitalen Verlag", wurde Mitte November eingestellt. Das hat die Leiterin des Hochschulmarketings bei Axel Springer selbst erst vor wenigen Tagen erfahren. "Ich gehe einfach davon aus, dass sie innerhalb der zwei Jahre, in denen Ideas bestanden hat, gemerkt haben, dass es nicht so profitabel ist, wie es sein sollte", sagt sie bei ihrer Unternehmenspräsentation vor Studenten der FH Joanneum im zweiten Stock der Konzernzentrale in Berlin.

Zwei Jahre, 15 Ideen

Bis vor zwei Wochen wurde bei "Axel Springer Ideas" die Entwicklung neuer, digitaler Produkte betrieben und gefördert. Der Inhouse-Inkubator half bei der Zusammenstellung von Entwicklerteams, bei der Beschaffung von Kapital und stellte technische und personelle Netzwerke zur Verfügung. 15 nach eigener Ansicht zukunftsträchtige Ideen hat "AS Ideas" in den zwei Jahren des Bestehens entwickelt. Acht wurden tatsächlich an den Start gebracht, die Hälfte davon ist inzwischen Geschichte. Übrig geblieben sind die Shopping-App "Shopnow", das Tablet-Geschichtsmagazin "Epos", die Prominenten-Wiki "Celepedia" und die Nachrichten-App "Kompakt" - sie werden nun in die Abteilung "Marketing & Classifieds" überführt. "Man hätte vielleicht noch ein, zwei Jahre länger warten müssen, um zu sehen, was daraus entsteht", sagt selbst Müller.

"Developer-Bude" bleibt

Den digitalen Wandel des Unternehmens weiter vorantreiben sollen die Vor- und die Nachstufe der hausinternen Ideen-Wertschöpfungskette: Der Start-Up-"Beschleuniger" "Plug and Play" und der "Company Builder" "Project A", bei dem Springer 2013 mit 30 Millionen Euro einstieg. Zudem bleibt die, so Müller, "Developer-Bude" "Ideas Engineering" bestehen. Das Überbleibsel von "Ideas" soll mit 80 Programmierern weiter hauseigene Apps programmieren und konzernintern technische Lösungen erarbeiten.

Die insgesamt 12.843 Mitarbeiter des Medienhauses holt der Fortschritt mit Weiterbildungen, 80-seitigen Seminarmappen und Gratis-Yoga-Kursen gegen den Stress ab. Eine Präsentation für die eigenen Mitarbeiter, wie man sein eigenes Internet-Start-Up gründet, mutet schon einigermaßen skurril an, doch Axel Springer meint es ernst mit dem Wandel.

Digitale Umsätze

Etwas mehr als ein Jahr ist es jetzt her, dass Springer die Traditionsmedien "Hamburger Abendblatt", "Berliner Morgenpost", "Hörzu", "TV Digital" und "Bild der Frau" um 920 Millionen Euro an die deutsche Funke-Gruppe, 50 Prozent-Eigner der "Kronen Zeitung", verkauft hat. Die Bilanzzahlen von Axel Springer sprechen für die neuen und profitablen Rubrikenangebote. Dutzende teils zugekaufte Onlinemarken wie die Preisvergleichsseite "Idealo", mobile Apps wie "Runtastic" oder Spartenportale wie "Immonet" und "Stepstone" werfen heute die großen Deckungsbeiträge ab.

Die tatsächlichen Umsätze aus den überwiegend von Lesern refinanzierten Bezahlangeboten, also etwa der "Welt" und der "Bild"-Zeitung, Print wie Online, liegen im laufenden Geschäftsjahr liegen bei nur noch 51,8 Prozent. Schon bald könnte die Umsatzhälfte von den Segmenten Vermarktungsangebote, Rubrikenangebote und Sonstiges überschritten werden. "'Bild' ist natürlich immer noch eine Cashcow und hochprofitabel", erklärt Marketingfrau Müller. Doch zeichnen Springer-Seiten heute immer öfter dafür verantwortlich, Nutzern zu zeigen, wo man in der Nähe günstig Nutella bekommt, bei welchem Puls man laufen sollte, oder wo in der Nachbarschaft demnächst eine Wohnung frei wird.

Campus mit Pool und Newsroom

Viel Platz frei ist derzeit noch in unmittelbarer Nachbarschaft des Axel-Springer-Hochhauses. Auf der Baulücke zur Lindenstraße parken jetzt noch Autos. Bis 2018 soll hier das Haus hochgezogen werden, das jetzt noch als kleines Architekturmodell mit der Inschrift "Gewinner und Realisierungsprojekt" im Eingangsbereich des Komplexes ausgestellt ist. Dann soll der von Rem Koolhaas geplante Axel-Springer-Campus stehen und – nebst einem Pool am Dach – auch den gemeinsamen Newsroom der "Welt"-Redaktion und des im Dezember 2013 zugekauften TV-Senders N24 beherbergen. Mit 920 Millionen Euro lässt sich einiges machen.

Digitalabos und Gänseblümchen

Bereits ein Jahr zuvor hat die "Welt", das journalistische Zugpferd des Hauses, einen weiteren Schritt in die Zukunft gewagt. Und sich noch vor der "Bild" und als erste Redaktion Deutschlands dazu entschieden, Geld für seine Onlineinhalte zu verlangen. Nach 20 gelesenen Gratisartikeln wird der Nutzer zum Abschluss eines Abonnements für 4,49 Euro eingeladen. Ein digitales Abo nehmen mittlerweile rund 60.000 Leser in Anspruch. Für Leeor Engländer, Managing Editor Mobile, angesichts der "Gratiskultur im Web" eine akzeptable Zahl. Man müsse sich vorstellen: "Gänseblümchen auf der Wiese kann jeder pflücken. Jetzt kommen wir, und verlangen fünf Euro dafür. Da ist 60.000 relativ sehr erfolgreich."

Online-to-Print-Strategie

Die "Welt" verfolgt als größte digitale Redaktion Deutschlands eine radikale Online-to-Print-Strategie. "Unsere gedruckte Zeitung ist ein Best-of dessen, was wir hier den ganzen Tag lang produzieren", erklärt Engländer, wie Springer seine großen Traditionsmarken ins digitale Zeitalter zu überführen versucht. Von den hundert Newsroom-Arbeitern seien gerade einmal zwölf für die Produktion der gedruckten Zeitung abgestellt.

Silicon Valley spielen

Von der entgegengesetzten Richtung begegnet man dem digitalen Wandel ein paar Straßen weiter. Zwölf Start-Ups sitzen hier in einem Großraumbüro, dessen Wände von einem Künstler bunt und großflächig mit Zitaten aus der Wulff-Bild-Affäre bemalt wurden. "Ich fürchte nur Gott und die 'Bild'-Zeitung", steht da etwa selbstironisch. Besucher können sich Club Mate und Apfeldirektsaft nehmen, und die Menschen, die hier drei Monate lang arbeiten, dürfen sich auch gerne mal bei einer Runde Tischtennis entspannen. Und dazwischen die nächste Killer-App programmieren. Hier - beim "Plug and Play Accelerator" - wird Silicon Valley gespielt.

Springer möchte "digitale Gründerkompetenz lernen und leben", wie es der seit zehn Jahren amtierende Vorstandsvorsitzende Mathias Döpfner einmal formulierte. Gern schickt der Chef seine höchsten Angestellten dazu ins kalifornische Digital-Eldorado. Um zu beobachten, zu lernen, in der digitalen Zukunft zu lesen. Nachdem er den kalifornischen Nerds ein Jahr lang über die Schulter schaute, kehrte etwa "Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann mit Rauschebart und neuen Eindrücken aus dem Silicon Valley zurück, wie es für den Springer-Konzern weitergehen könnte.

Start-ups im Wettbewerb

Für den aktuellen Durchlauf des Start-Up-Beschleunigers, der zur Hälfte dem Tech Center aus Sunnyvale, Kalifornien, gehört, haben sich mehr als 200 Projektteams aus aller Welt beworben. Die besten wurden zum Pitch eingeladen, die allerbesten auserwählt, in die eigenen Hallen geholt, mit 25.000 Euro Kickstartgeld ausgestattet und gegen fünf Prozent der Firmenanteile drei Monate lang mit technischen und beruflichen Netzwerken versorgt.

Grazer mit dabei

Eines davon ist derzeit das Grazer Unternehmen "CrossCloud", dessen Entwicklerteam seine Geschäftsidee probeweise vorträgt. Seit vier Wochen arbeiten die drei Telematik-Studenten der TU Graz in der deutschen Hauptstadt an ihrem Cloudspeicher-Dienst, der es Usern ermöglicht, verschiedene Accounts von Anbietern wie "Dropbox" oder "Google Drive" zu verbinden und sicher zu nutzen. Der nächste Schritt dahin ist der "Demo-Day" im Jänner, da geht es vor Investoren um eine Anschlussfinanzierung. Gepitcht  -  so das konsequente Wording  - wird hier fast täglich. Am Tag nach dem Besuch für eine russische Journalistengruppe, am Tag davor zu Trainingszwecken. "How to start up every day"  -  mit kalifornischer Kreativität und deutscher Gründlichkeit.

Döpfner duzen?

Mit den neuen Geschäftsfeldern aus der Start-Up-Szene versucht sich Springer auch einen Entrepreneur-Spirit ins Haus zu holen. Die vielen neuen Tochterfirmen senken den Altersschnitt des Personals, am Gang duzt man sich. Die jungen Start-Up-Anpacker sollen einen "Change" in die Unternehmenskultur gebracht haben. "Vor zwei Jahren noch sind hier wirklich alle mit Krawatte herumgelaufen, das ist jetzt nicht mehr der Fall", sagt Müller. Auch eine Kultur des Fehlermachens würde langsam Einzug halten. "Schaut mal über euren Tellerrand" oder "macht etwas, probiert etwas aus, es ist nicht schlimm, wenn etwas nicht funktioniert", sind Sätze, die Müller bei der Unternehmenspräsentation stehen lässt. Ein Jackett sollte man aber doch für alle Fälle dabei haben, meint sie. Und Döpfner duzen geht natürlich auch nicht. (Marc Eder, Lukas Maria Matzinger, derStandard.at, Dezember 2014)