Wie viele EU-Bürger wandern pro Jahr in ein anderes EU-Land aus? Wie hat sich das im Zeitverlauf geändert? Was ist der Grund für die veränderten Zielländer? Und woher kommen die Einwanderer in Österreich, Deutschland und Großbritannien? derStandard.at hat sich dieser Fragen angenommen.
Migration zwischen EU-Ländern steigt wieder
Wie der Anfang Dezember veröffentlichte OECD-Bericht zur den Migrationsbewegungen festhält, haben sich die Einwanderung aus Drittstaaten in die EU und die Migrationsbewegungen innerhalb der EU-Länder in den vergangenen Jahren angenähert und sind nun beinahe auf demselben Niveau. Das war – wie in der Grafik zu sehen ist – nicht immer so. Zwischen 2007 und 2010 haben die Migrationsbewegungen innerhalb der EU-Staaten um 35 Prozent abgenommen. Seither ist wieder ein Zuwachs zu bemerken – allerdings haben sich die Zielländer geändert. Mittlerweile ist Deutschland das Land, das die meisten Zuwanderer anzieht. Zuvor waren es die südeuropäischen EU-Länder wie Spanien und Portugal. Insgesamt leben in den 28 EU-Mitgliedsstaaten rund 11,5 Millionen Menschen, die in einem anderen EU-Land geboren sind.
Jobs, Jobs, Jobs
Der Rückgang der EU-Binnenmigration in den Jahren zwischen 2007 und 2010 ist mit der veränderten Arbeitsmarktsituation zu erklären. "Die Arbeitsmigration ist eindeutig nachfragegesteuert", sagt Thomas Liebig aus der Abteilung für Internationale Migration der OECD, der auch an der Erstellung des aktuellen Migrationsberichts beteiligt war. In den Krisenjahren gab es im EU-Raum insgesamt weniger Arbeitsplätze, was zur Folge hatte, dass auch die Binnenmigration abnahm. Erst als die wirtschaftliche Erholung spürbar wurde, es wieder Jobs gab, begann die Migration innerhalb der EU wieder zu steigen.
Die folgende Grafik zeigt den Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Zuwanderung für ausgewählte EU-Staaten. Grundsätzlich gilt: je geringer die Arbeitslosigkeit in einem Land, desto attraktiver wird es für Migranten. Als aktuelle Beispiele sind hier Deutschland und auch Österreich zu nennen. Als die Arbeitslosenquote im Jahr 2005 in Deutschland bei 11,3 Prozent lag, war auch die Zuwanderung geringer als 2012 mit einer Arbeitslosenquote von 5,5 Prozent.
Diese Rechnung geht auch umgekehrt auf. Also: je höher die Arbeitslosenquote, desto weniger attraktiv ist das Land für Zuwanderer. Das ist am Beispiel Spanien gut dokumentierbar. Dort stieg die Arbeitslosenquote von 9,2 Prozent im Jahr 2005 auf 25 Prozent im Jahr 2012. Die Zuwanderung hat dementsprechend abgenommen.
Auch die Verschiebung der Zielländer hat wirtschaftliche Ursachen. Während vor der Krise südeuropäische Länder wie Spanien noch unter den wichtigsten Zielländern waren, zählt Spanien nach den Krisenjahren zu den Ländern, in denen der Rückgang bei Einwanderern aus der EU am höchsten war. Das wirtschaftlich im EU-Vergleich gut dastehende Deutschland ist aktuell in absoluten Zahlen der größte Zuwanderermagnet.
Global lasse sich in der Regel kaum ein negativer Effekt der Migration auf die Arbeitslosenquote im Aufnahmeland nachweisen, sagt Migrationsexperte Liebig. Im Gegenteil: Es würde zu einem ausgleichenden Effekt kommen. Die Arbeitslosigkeit in den Auswanderungsländern sinke, und die Empfängerländer bekämen die gesuchten Arbeitskräfte. Dass es in bestimmten Bereichen allerdings zu Verdrängungseffekten auf dem Arbeitsmarkt kommen könnte, will Liebig nicht ausschließen.
Mehr als drei Viertel der Einwanderer nach Österreich kommen aus einem anderen EU-Land. In dem Torteneck "Familie" sind diejenigen Einwanderer erfasst, die über die Möglichkeit des Familiennachzugs nach Österreich gekommen sind. Nur ein geringer Anteil sind Migranten, deren Aufenthalt in Österreich humanitär begründet wird. Noch geringer ist der Anteil derjenigen, die als Arbeitsmigranten von außerhalb der EU in Österreich sesshaft werden.
Aktuell sind die Nachbarn aus Deutschland die stärkste Einwanderergruppe in Österreich, gefolgt von Zuwanderern aus Rumänien und Ungarn. Eine Anmerkung: Die Zahlen beziehen sich darauf, aus welchem Land im Jahr 2012 die meisten Einwanderer kamen, und nicht darauf, welche Nationalität in Österreich zahlenmäßig am stärksten vertreten ist.
Auch in Deutschland kommt die größte Zuwanderung aus einem EU-Land, nämlich aus Polen, gefolgt von Rumänien und Bulgarien.
In Großbritannien hingegen liegt China auf Platz eins der Herkunftsländer der Einwanderer. Auf den Plätzen zwei und drei folgen Migranten aus Indien und Polen. (Michael Bauer, Michaela Kampl, derStandard.at, 4.12.2014)