Nur drei Wochen nach dem Start der Operation "Protective Edge" des israelischen Militärs wurde in Googles Play Store das Spiel "Bomb Gaza" veröffentlicht. Nach einer weiteren Woche löschte Google die App aufgrund von Protesten. Weltweit griffen Nachrichtenseiten das Thema auf und berichteten über die "Propagandaschlacht im Play Store". Enorm viel Öffentlichkeit für den Entwickler PlayFTW, der noch nicht einmal über eine eigene Website verfügt und dessen im brüchigen Englisch gehaltene Selbstbeschreibung auf Facebook mehr Wunsch sein dürfte als Wirklichkeit: "We are expirenced game developing company".

Die Aufgabe in "Bomb Gaza": von einem israelischen Kampfjet aus Bomben auf Hamas-Kämpfer werfen, die jedoch in Häusern voller Zivilisten stehen. Dieses Grundszenario erinnert an das Spiel "September 12th" aus dem Jahr 2003. Hier bombardiert der Spieler eine Stadt in Afghanistan, trifft aber unweigerlich Zivilisten. Die Folge: noch mehr Terroristen. "September 12th" hat eine klar pazifistische Haltung mit kritikwürdigem Subtext: Das Spiel spricht den dargestellten Opfern jegliche Autonomie ab. Die virtuellen Menschen reagieren wie Programmcode auf eine Eingabe – und werden unweigerlich zu Terroristen, sobald sie angegriffen werden. Politik, Ideologie und die Möglichkeit der freien Entscheidung spielen in diesem Automatismus keine Rolle mehr.

DrumTwoDaBass

"Bomb Gaza" könnte nun auf ähnliche Art problematisieren, dass sich die Hamas hinter der Zivilbevölkerung versteckt und dass deswegen immer wieder Unbeteiligte zu Schaden kommen. Das allerdings tut das Spiel nicht. Getötete Militante und Zivilisten werden zum Highscore zusammengezählt. Und so macht sich Ratlosigkeit breit: Will das Spiel Spieler dafür belohnen, unterschiedslos möglichst viele Palästinenser getötet zu haben, oder denunziert es das israelische Militär, indem es ihm unterstellt, genau das zu beabsichtigen? Allzu intensiv scheinen sich die Entwickler aber ohnehin nicht den Kopf darüber zerbrochen zu haben, was genau sie nun aussagen wollen mit ihrem Spiel. Gegenüber der Spielezeitschrift Gamestar zumindest behauptete der verantwortliche Programmierer Roman Shapiro, "Bomb Gaza" in zwei Stunden programmiert zu haben. Es sei ein "dummes Spiel" und er danke den "Hatern" für die Aufmerksamkeit.

Es ist nicht das einzige dumme Spiel zum jüngsten Krieg zwischen Israel und der Hamas. Gleich mehrere Klone des 1980 erschienen Arcade-Klassikers "Missile Command" lassen den Spieler das israelische Raketenabwehrsystem Iron Dome steuern. Die Existenz des Iron Dome ist eine traurige Notwendigkeit, in vielen Spielen wird daraus jedoch eine bizarre Geschicklichkeitsübung mit militärischem Brimborium: Technologische Überlegenheit wird abgefeiert und Spieler werden zu Helden stilisiert. Der Anspruch ist plump und geht außerdem gelegentlich nach hinten los: Im Play Store freut sich ein Nutzer, dass er auch einfach nichts tun, sich zurücklehnen und ganz entspannt dabei zusehen kann, wie die virtuellen Kassam-Raketen in die israelischen Städte einschlagen.

AtariProductions

In "Rocket Pride" ist es dagegen das Ziel, eine solche Rakete per an "Flappy Bird" erinnernder Steuerung in ein bestimmtes Ziel zu lenken. "Whack the Hamas" ist "Whack-A-Mole", bei dem statt Maulwürfen Terroristen aus ihren Tunneln kommen. Bei dem Shoot ‘em up "Gaza Man" ballert man wiederum als palästinensischer Rambo und in "Gaza Defender" unter anderem mit einem ägyptischen Ramses II Panzer auf israelisches Militär. In der Realität herrscht seit 1979 ein kalter Frieden zwischen Ägypten und Israel. Ägypten tritt heute bisweilen als Vermittler auf, nur Mohammed Mursi unterstützte während seiner kurzen Präsidentschaft nach der Revolution 2011 die Hamas, die wie seine Partei ihre Wurzeln in der sunnitisch-islamistischen Muslimbruderschaft hat. Ebenfalls mit zynischen Highscores agitiert "Gaza", ein Beitrag zum dritten Game-Boy-Jam der Indiespiele-Plattform Game Jolt. Hier gilt es eine palästinensische Familie – inklusive Hund – vor israelischen Bomben und Snipern zu schützen. Am Ende sterben aber alle unweigerlich den Hungertod.

Weniger bluttriefend, aber nicht weniger politisch naiv ist das Spiel "Gaza Hero". Per Fingertipp verwandelt sich israelisches Militärgerät, das sich Richtung Gaza bewegt, in Nahrung und Strom. Der Entwickler möchte alle Erlöse des Spiels "an Gaza" spenden. Ein Spendenbutton verweist auf eine Website einer am "Freedom Flotilla"-Projekt beteiligten Gruppe. Erheblich Zweifel sind angebracht, wenn es um die Motive dieser Organisation geht: Der Propagandagedanke scheint wichtiger zu sein als die Sorge um die Versorgungslage der Einwohner Gazas. Der Organisation widmete bereits 2010 einem Webportal namens "Arab Game Developers Network" ein Spiel. Dieses bezog sich damals auf den Zwischenfall beim Entern des Schiffs "Mavi Marmara", bei dem israelische Soldaten neun Aktivisten töteten, nachdem sie vorher angegriffen worden waren. Die Spielmechanik besteht daraus, sich vom Hubschrauber abseilende IDF-Soldaten und heranfliegende Granaten mit einem Wasserwerfer abzuschießen. Das Java-Spiel für ältere Handys richtete sich allerdings an ein arabischsprachiges Publikum, während die meisten Spiele-Apps heute ohne Sprache funktionieren oder auf Englisch sind.

Derek Gildea

Spiele, die den Nahostkonflikt thematisieren, sind gar nicht mal neu. Erwähnenswert ist vor allem der syrische 3D-Shooter "Under Ash" (2001) und der Nachfolger "Under Siege" (2005), deren Handlungen während der ersten beziehungsweise zweiten Intifada stattfinden. Die Entwickler Afkar Media betonen die Authentizität des Spiels: Es basiere auf UN-Aufzeichnungen. In "Under Siege" ist jedoch nur das Massaker in der Höhle des Patriarchen in Hebron konkret verortbar. Dieses Attentat fand im Februar 1994 statt, damals eröffnete der jüdische Extremist Baruch Goldstein in der dortigen Moschee das Feuer und ermordete 29 Muslime. Dieses traurige Ereignis stellt die erste Szene des Spiels dar, die zugrundeliegenden Quellen sind allerdings nicht ersichtlich und sehr fragwürdig: Die Opferzahl ist etwas zu niedrig angegeben, außerdem wird auf einer Texttafel der Eindruck erweckt, dass Israel die Schuld Goldsteins relativiert hätte – in Wirklichkeit verurteilte damals sowohl die Politik als auch die breite Öffentlichkeit den Terroranschlag.

Das israelische Militär wird in "Under Siege" einerseits dämonisiert – zum Beispiel erschlägt ein Soldat einen palästinensischen Jungen, den man eben noch gesteuert hat, in einer Cutszene mit einem Stein –, andererseits schreibt das Spiel der IDF auch eine ungeheure Macht zu: "Under Siege" ist brutal schwer, die einfachste Schwierigkeitsstufe ändert kaum etwas daran, nur Speichern ist dann erlaubt. Das Spiel spielt sich wie eine Art Geschicklichkeits-Puzzle, das, wenn überhaupt, nur durch wiederholtes Ausprobieren zu schaffen ist. Die Protagonisten werden gleichzeitig zu Helden und Opfern stilisiert, das Motiv des Märtyrertums ist präsenter als in vielen westlichen Shootern. Mit den "Call of Dutys" dieser Welt kann "Under Siege" technisch nicht mithalten, dennoch handelt es sich um eine relativ professionelle Produktion.

Claudio José

Dass aktuelle Spiele zum Gaza-Konflikt dilettantisch produziert sind und die politische Situation einfältig und verkürzt darstellen, ist nun keine besonders große Überraschung. Ihre Menge ist es aber schon. Um die Jahreswende von 2008 zu 2009, als nach dem Auslaufen eines halbjährigen Waffenstillstands Israel auf den massiven Raketenbeschuss durch die Hamas mit der Operation "Gegossenes Blei" antwortete, wurden nur sehr wenige Spiele auf Flashgames-Plattformen hochgeladen. Nicht einmal die Gamespresse nahm davon groß Notiz. Über "Bomb Gaza" dagegen schreiben im Sommer 2014 unter anderem Der Spiegel, The Guardian und auch derStandard.at.

Das kann viele Gründe haben. Vielleicht wird Empörung heute anders geäußert, vielleicht ist es selbstverständlicher geworden, digitale Spiele auch als politisches Ausdrucksmedium zu verstehen. Und: Die populären Appstores haben eine neue Dynamik hervorgebracht, es ist einfacher geworden, Spiele zu produzieren und öffentlich zu machen. Damit hat aber auch die Konkurrenz um die Aufmerksamkeit der User zugenommen. Schlagwörter, die emotionalisieren und in den Nachrichten und sozialen Netzwerken vorkommen, können dabei helfen, aus der Masse herauszustechen, auch wenn die eigentliche Qualität der Titel dürftig ist.

Doch die Masse und die Plumpheit der ganzen Spiele zum Gaza-Krieg langweilen. Noch 2009 war das israelkritische Spiel "Raid Gaza" dem Gamedesigner und -kritiker Ian Bogost, Co-Autor von "Newsgames: Journalism at Play", einen positiven Blogbeitrag wert. Er versuchte, sich nicht mit dem einseitigen Inhalt zu identifizieren, lobte es aber als Beispiel für ein gelungenes "Newsgame", das zeitnah zum Geschehen einen starken Kommentar abgibt. "Bomb Gaza" war ihm dagegen nur noch einen überdrüssigen Tweet wert: "Well, here's the "Bomb Gaza" game you didn't know you were expecting but, oh yeah, Internet."

Ausgerechnet ein Spiel, das kaum auffälliger mit "Achtung, pädagogisch!" markiert sein könnte, wird in diesem Kontext wieder interessant. Impact Games' "PeaceMaker" erschien im Februar 2007, zu jener Zeit also, als der Konflikt zwischen Fatah und Hamas sich zuspitzte, bis er im Juni im Putsch durch die Hamas und ihrer Machtübernahme im Gazastreifen endete. Was auffällt: "PeaceMaker" ist aus heutiger Sicht ungeheuer optimistisch.

ixnaum

Man schlüpft in die Rolle des israelischen Premierministers oder des palästinensischen Präsidenten und hat immerhin schon ein gemeinsames Ziel: Frieden. Scheitern jedoch ist ziemlich einfach. Fehlender Rückhalt der Bevölkerung für die eigene Politik kann zum Amtsverlust führen. Ein israelischer TV-Sender ließ damals den Knesset-Abgeordneten und ehemaligen Mossad-Chef Dani Jatom "PeaceMaker" spielen. Nach wenigen Runden lernte er die andere Game-Over-Meldung kennen: Die dritte Intifada bricht aus.

Die Spieler haben den Luxus, aus drei Schwierigkeitsstufen wählen zu können. Zumindest bei der leichtesten ist ein Frieden mit etwas Geduld möglich. Obwohl ideologische Fraktionen eine wichtige Rolle spielen, wird der Frieden dann vor allem auf wirtschaftlichem Weg erreicht. Isoliert man beispielsweise in der israelischen Kampagne die radikalen Siedler und finanziert den Aufbau der palästinensischen Wirtschaft, gibt schließlich sogar die Hamas ihre Waffen ab. Solche rationalen Schritte sind von dieser Organisation außerhalb eines Spiels leider nicht zu erwarten. In ihrer Charta beschwört die Hamas mit Verweis auf die Protokolle der Weisen von Zion die jüdische Weltverschwörung und erklärt es zur Pflicht jedes Muslims, Juden zu töten. Den wahnhaften Antisemitismus simuliert "PeaceMaker" nicht.

Spielt man als Palästinenserpräsident, tut man gut daran, die innerpalästinensische Konkurrenz mit der eigenen Polizei in Schacht zu halten. Sympathieverluste, weil man hinter die Maximalforderungen tritt oder überhaupt auf Israel zugeht, gleicht man auch hier wieder am besten aus, indem man die Wirtschaft und das Sozialsystem aufbaut. Wichtig ist es, die Autorität des Präsidenten zu etablieren und zu festigen, aber dennoch das Spielziel Frieden vor nationalistische Ansprüche zu stellen. Ein Balanceakt. Kommt es aber zum Bürgerkrieg unter den Palästinensern, endet das Spiel. In der Realität folgte auf das Game Over ein neues Level mit noch höherem Schwierigkeitsgrad.

Asi Burak

Die Politik im "real life" auf "leicht" stellen zu können, wäre ein Segen. Doch den Entwicklern ging es weniger darum, einfache Lösungen des Nahostkonflikts bequem am PC nachspielen zu lassen. Sie wollten Verständnis für die Probleme beider Seiten schaffen. Nebenbei stört das rundenbasierte Gameplay etwas – man könnte meinen, dass es ein hoher Amtsträger schafft, an einem Nachmittag mehrere Anweisungen zu geben, als nur eine Aktion wöchentlich auszuführen. Doch der Wert des Spiels als ein Zeitdokument wird dadurch nicht gemindert. "PeaceMaker" hält an Hoffnungen auf eine friedliche Lösung des Nahostkonflikt fest, Hoffnungen, die heute kaum noch existieren.

Impact Games hat Ende Juli angekündigt, an einer Neuauflage des Spiels zu arbeiten. Der politische Satiriker John Oliver jedoch stellte lieber gleich in einem Einspieler seiner Late Night Show "Last Week Tonight" *World of PeaceCraft vor, das neue Spiel für desillusionierte Politikwissenschaftler: in Konferenzräumen sitzen, Kompromisse in Paragrafen festhalten, über Worte streiten, ohne Ende.

Trist, aber immer noch eine bessere Idee, als in aller Eile ein dummes Spiel für Hater zu veröffentlichen. (Benedikt Frank, Text aus WASD #6 für derStandard.at, 7.12.2014)