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Mehr als eine Milliarde Euro hat das Schwarzgeldabkommen zwischen Österreich und der Schweiz der heimischen Finanz gebracht. Aber es ist noch weit mehr zu holen

Foto: APA/LUKAS LEHMANN/KEYSTONE

Wien - Finanzminister Hans Jörg Schelling ist gerade drei Monate im Amt, und schon stehen EU-Beamte, Gewerkschafter und Unternehmer Schlange vor seiner Tür. Sie alle wollen Geld. Die EU-Kommission kritisiert Österreich wegen Abweichungen beim Sparkurs und könnte Nachbesserungen beim Budget verlangen. Der ÖGB fordert eine Entlastung für Arbeitnehmer. Die Unternehmer wollen weniger Abgaben zahlen.

Doch Schelling und seine Beamte haben eine Einnahmequelle entdeckt, die dem Staat Hunderte Millionen Euro bringen könnte - das alles ohne politisch langwierige Debatten wie bei der Vermögenssteuer. Der Minister und seine Leute haben die Abschleicher ins Visier genommen.

Amnestie nicht genutzt

So nennen Fahnder jene österreichischen Steuerhinterzieher, die jahrzehntelang Schwarzgeld in der Schweiz versteckt haben und selbst ein Amnestieangebot der Republik 2013 nicht nutzten. Nach Schätzungen könnte diese Gruppe von Hinterziehern bis zu zehn Milliarden Euro vor der Finanz in Sicherheit gebracht haben. Wird dieses Vermögen nachversteuert, könnte also eine große Summe herausschauen.

Deshalb haben Österreichs Steuerfahnder einen Plan entworfen, um die Abschleicher doch zu erwischen. Sie wollen ein spezielles Auskunftsersuchen an die Schweiz richten. Doch führende Juristen dort bezweifeln, dass das möglich sein wird. Es kann daher gut sein, dass die Hinterzieher endgültig entkommen sind. Österreichs größtes Problem ist das Timing. Um zu verstehen, warum, ist ein Blick zurück notwendig.

Bankgeheimnis schützt

Im April 2012 unterzeichnete die damalige Finanzministerin Maria Fekter das Amnestieabkommen mit ihrer Schweizer Amtskollegin Eveline Widmer-Schlumpf. Die Vereinbarung sah vor, unversteuertes Vermögen von Österreichern im Nachbarland mit einer anonym eingehobenen Abschlagszahlung zu erfassen. Alternativ konnten sich Hinterzieher selbst bei der Finanz melden.

Das Abkommen trat am 1. Jänner 2013 in Kraft, also acht Monate nach der Unterzeichnung. Somit blieb den Abschleichern genügend Zeit für die Flucht. Die österreichischen Behörden wissen dank einer Meldung der Schweizer immerhin, wohin die Gelder geflossen sind. Die meisten Hinterzieher haben ihr Vermögen nicht nach Singapur oder in die Karibik geschafft, sondern es nach Österreich heimgeholt.

Kampf wird schärfer

Das ergibt aus deren Sicht Sinn. International wird der Kampf gegen Steuerbetrug zwar immer schärfer geführt. Doch das heimische Bankgeheimnis bietet nach wie vor einen guten Schutz vor den Blicken der Finanz, der nur bei einem konkreten Verdachtsfall durchbrochen werden kann.

Um die Abschleicher zu fassen, hat das Finanzministerium aber einen "Plan B" in Spiel gebracht: eine Gruppenanfrage an die Schweiz. Diese Anfragen sind derzeit die effektivste Methode der Fahnder, um Steuerbetrügern jenseits der Grenze auf die Spur zu kommen. Das Prinzip ist simpel: Ein Staat fragt im Ausland nach, ob seine Staatsbürger dort über Konten verfügen oder in spezielle Finanzprodukte investiert haben.

Diese Anfragen sind in Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) geregelt und beruhen auf einem Vertragsmuster der Industriestaatenorganisation OECD. Österreich war wie die Schweiz lange restriktiv und hat nur Anfragen erlaubt, bei denen die ausländischen Behörden den Namen des Verdächtigen nennen konnten oder Indizien ihn identifizierten.

Gemeinsame Verhaltensmuster

Doch 2012 hat die OECD klargestellt, dass Staaten auch Ansuchen beantworten müssen, bei denen nach einer Gruppe mit gemeinsamen Verhaltensmustern gefragt wird. Die Identität der Verdächtigen muss nicht bekannt sein. Die OECD hat damals die geltenden Interpretationsregeln für ihre Musterabkommen geändert. Im Juni 2014 hat Österreich reagiert und die Anfrage neu per Gesetz beschlossen, die Schweiz erlaubt Gruppenanfragen grundsätzlich seit Februar 2013.

Das schweizerisch-österreichische DBA ist zwar schon älter. Doch nach bisher unbestrittener österreichischer Rechtsauslegung ist das Abkommen dynamisch. Das heißt, es passt sich an die OECD-Vorgaben an. Eine Gruppenanfrage wäre sofort möglich, ohne ein neues DBA-Abkommen mit der Schweiz aushandeln zu müssen.

Wien könnte also in Bern nachfragen, welche Österreicher zwischen April 2012 und 1. Jänner 2013 Geld nach Österreich abgezogen haben und gleichzeitig ihr Schweizer Bankkonto auflösten. Laut dem Steuerexperten Alexander Lang von Deloitte wäre das wohl eine ausreichend präzise Anfrage nach den OECD-Regeln.

Das Problem ist, dass die Schweiz eine effektive Falltür eingebaut hat: Eine Verordnung legt fest, dass Gruppenanfragen nur rückwirkend bis Februar 2013 erlaubt sind. Zu diesem Zeitpunkt waren die Abschleicher aber schon weg - eine derart begrenzte Suche wäre also nutzlos.

Einige österreichische Experten glauben dennoch, dass eine Anfrage möglich wäre. Politisch sei Druck auf die Schweiz da, weil die neue OECD-Interpretation für Anfragen ja seit 2012 gelte.

Auch ein juristisches Argument gibt es: Das Schweizer Höchstgericht hat in mehreren Streitfällen mit den Vereinigten Staaten klargestellt, dass auch weit zurückliegende Auskunftsersuchen der US-Steuerfahnder von der Schweiz beantwortet werden müssen.

USA waren ein Sonderfall

Die Amerikaner durften Auskunftsversuchen für Zeiträume in der Vergangenheit stellen, als die Schweiz noch gar keine Informationen ans Ausland weitergab. Das Verbot rückwirkender Strafgesetze gelte nur fürs materielle Strafrecht, nicht aber für prozessuale Regeln, so das Gericht. Könnte Österreich dieses Schlupfloch nutzen? Nein, sagt René Matteotti, Steuerexperte an der Universität Zürich. "Denn im Streit mit den USA hat es keine interne Regelung gegeben, die eine Rückwirkung der Anfragen explizit begrenzt hätte. Diesmal gibt es sie schon."

Der Hinweis auf Februar 2013 sei eine klare Begrenzung, "weshalb die Schweizer Verwaltung ein Auskunftsersuchen der Österreicher bezogen auf Zeiten davor nicht beantworten wird", sagt Matteotti. Ähnlich sieht es Marcel Widrig, Steuerexperte bei PwC: "Die US-Fälle waren anders gelagert", sagt er.

Kann also sein, dass die Abschleicher so lange in Sicherheit sind, bis das heimische Bankgeheimnis doch noch fällt. (András Szigetvari, DER STANDARD, 4.12.2014)