Wien - Werner Faymann ist angeschlagen. Das magere Ergebnis des Kanzlers am eigenen Parteitag und die heftige Kritik, die dort an ihm und der Linie der SPÖ geäußert wurde, hat Faymann spürbar zugesetzt und seine Rolle in der Koalition geschwächt - was im Übrigen auch in der ÖVP eher mit Sorge als mit Genugtuung registriert wird. Von einer "lame duck" ist die Rede. Ganz offen wird bereits über Faymanns Nachfolge als SPÖ-Vorsitzender spekuliert.
Und zum Schaden kommt der Spott: Die SPÖ hat bei der Verkündigung seines Wahlergebnisses als Vorsitzender nämlich geschummelt. Während bei allen anderen im Parteivorstand jeweils das korrekte Ergebnis mit Kommazahlen verkündet wurde, versuchte der Wiener Landtagspräsident Harry Kopietz als Vorsitzender der Wahlkommission Faymanns Ohrfeige zu beschönigen und rundete auf 84 Prozent auf. Das tatsächliche Ergebnis machte 83,9 Prozent aus, ganz genau: 83,898 Prozent. Bei 590 gültigen Stimmen verweigerten 95 Delegierte Faymann die Gefolgschaft.
Die Schwindelei von Kopietz sorgte auch parteiintern für Diskussionen, denn das habe Faymann nicht nötig, heißt es. Als Schuldiger für den unnötigen Fauxpas wurde Kopietz ausgemacht. Allerdings ist auch auf der SPÖ-Homepage das geschönte Ergebnis vermerkt.
Diese mangelnde Souveränität im Umgang mit dem mageren Wahlergebnis wird Faymann von seinen Kritikern als Zeichen der Schwäche ausgelegt. Potenzielle Nachfolger sind bereits im Gespräch. Am öftesten wird Christian Kern genannt, derzeit noch Chef der ÖBB und mit 48 Jahren immer noch eine Zukunftshoffnung der SPÖ. Kern lässt sich die Spekulationen gern gefallen, sie schmeicheln ihm. Offen dementiert hat er seine Ambitionen nicht, bestätigt hat er sie allerdings auch nicht.
Gut vernetzt
Neu sind die Gerüchte über einen Umstieg Kerns in die Politik nicht. Bereits 2012, als Faymann das erste Mal von den Delegierten am Parteitag abgestraft wurde, kam der umtriebige und gut vernetzte ÖBB-Manager in der SPÖ ins Gespräch. Über einen Wechsel von der Wirtschaft in die Politik sagte er damals in einem Datum-Interview: "Da ist es schwieriger, es gibt einen übermächtigen Interessenausgleich. Zum Beispiel: Jemand nimmt sich bei der Bawag Geld aus der Kasse. Als Parteichef trägt man nun Verantwortung für etwas, das man nur zu einem bedingten Teil steuern kann. Das ist ein Unterschied. Wenn bei der ÖBB etwas schiefläuft, kann ich nicht sagen: Die Dodeln! Ich habe die ultimative Verantwortung."
Über politische Erfahrung und Kenntnis verfügt Kern auf jeden Fall, den Instinkt spricht ihm niemand ab. 1991 wurde Kern unter Bundeskanzler Franz Vranitzky Assistent bei Staatssekretär Peter Kostelka im Bundeskanzleramt. 1994 wechselte Kern mit Kostelka als dessen Büroleiter und Pressesprecher ins Parlament. Drei Jahre später begann er beim Verbund, 2007 stieg er dort zum Vorstand auf. 2010 wechselte er als Generaldirektor zur ÖBB-Holding-AG.
In der SPÖ gilt Kern als Geheimwaffe, die Genossen brachten ihn auch als Nachfolger von ORF-General Alexander Wrabetz ins Spiel. Selbst wenn ihn zynische Kritiker als "Kern-Problem" der ÖBB bezeichnen, genießt der Manager über Parteigrenzen hinaus Anerkennung, auch bei der ÖVP und selbst bei den Grünen, die gern auf dessen politische Wurzeln als Mitarbeiter bei einer alternativen Liste verweisen.
Ein möglicher Nachfolgekandidat für Faymann ist allerdings auch Rudolf Hundstorfer. Der Sozialminister wäre mit seinen 63 Jahren wohl nur ein Übergangskandidat. Tatsache ist, dass sich die Mehrheit der Genossen von der Jugend über die Gewerkschaft bis zu den Senioren rasch auf Hundstorfer einigen könnten.
Andere Ambitionen
Der Sozialminister ist auch aufgrund seiner Umtriebigkeit und seines Einsatzes in der Partei sehr beliebt. Was gegen ihn spricht: Reformeifer wäre keine Beschreibung, die man auf Hundstorfer münzen würde. Der Sozialminister gilt eher als Bewahrer, seine politischen Gegner bezeichnen ihn auch als Blockierer. Abgesehen davon hat Hundstorfer längst andere Ambitionen: Nachdem sein Wechsel als Bürgermeister ins Wiener Rathaus nicht geklappt hat, scheint er jetzt die Hofburg im Visier zu haben. In der SPÖ gilt er als der geeignete Kandidat für die Präsidentschaftswahl 2016.
Als möglicher Faymann-Nachfolger wird auch SPÖ-Klubchef Andreas Schieder genannt. Ihm sprechen allerdings viele in der Partei (noch) das Format eines Bundeskanzlers ab. Das Gleiche galt allerdings auch für Werner Faymann selbst.
Ob und wann es tatsächlich zu einer Ablöse des SPÖ-Vorsitzenden kommen könnte, liegt am Betroffenen. Die Frage ist, ob Faymann von sich aus einen Schritt Richtung Abgang setzt. Das Unwohlsein in der Partei ist zwar greifbar, allerdings nicht so vehement, dass ein Sturz von Faymann derzeit von einer breiten Mehrheit in der Partei und den Ländern getragen würde. (Michael Völker, DER STANDARD, 4.12.2014)