Ein Albino muss aufgrund des Aberglaubens in Tansania um sein Leben fürchten: Noaz Deshes Spielfilmdebüt "White Shadow" erzählt davon, wie Hautfarben zu Außenseitertum beitragen.

Foto: This Human World

Wien - Aufgeregt stehen die jungen Männer in einem Hauseingang, ihr Ziel ist ein Innenhof auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Nacheinander sprinten sie hinüber, kichernd wie Kinder beim Räuber-und-Gendarm-Spielen. Als der Letzte von ihnen an der Reihe ist, hält er im Laufen kurz inne und winkt mit beiden Händen die verlassene Straße hinunter. Irgendwo in seiner Blickrichtung sitzt ein Scharfschütze, zumindest diesmal hat er keinen Schuss abgefeuert.

Gefilmt hat diesen speziellen Nervenkitzel Abdullah Hakawati, ein bulliger syrischer Aktivist mit rotem Bart und dunkel umrandeten Augen. Seine Beziehung zum Tod sei, wie er in Firas Zbibs Dokumentarfilm False Alarm erzählt, sehr eng. Sterben gehöre in Syrien schon so zum Alltag, dass ohne es etwas fehlen würde. Und wer wie er eine Kamera bei sich trägt, für den sei das Risiko besonders hoch.

Eine verkohlte Kamera ist auch alles, was von Mohammad Nour nach einer Bombenexplosion zurückbleibt. Ist er ums Leben gekommen oder inzwischen in der Gewalt von IS-Terroristen? Mohammad Nours Bruder Amer hofft, dass sich Daten der Kamera in Deutschland auswerten lassen, um etwas über den Verbleib des Verschollenen zu erfahren.

Ursprünglich als Sammlung mehrerer Kurzfilme über die syrische Revolution geplant, wurde False Alarm mit dem Fortschreiten der Kämpfe zu einer Arbeit über die Schicksale der Filmemacher. Der Film, der in einer Stunde mehr über die Auswirkungen der Kämpfe als manch anderer erzählt, gehört zu den Highlights des diesjährigen "This Human World"-Festivals, das von 4. bis 13. Dezember einmal mehr Filme um das Themenfeld Menschenrechte nach Wien bringt.

Dahindämmern im Gefängnis

Der Fokus liegt auf Dokumentationen, die oft übersehene Problemfelder sichtbar machen. Der heurige Hauptschwerpunkt befasst sich mit dem Leben hinter Gefängnismauern. Ellen Vermeulens 9999 zeigt etwa den trostlosen Alltag in einer belgischen Anstalt für psychisch erkrankte Menschen. Der Titel verweist dabei auf das offizielle Entlassungsdatum der Internierten, die ohne jede Therapie vor sich hindämmern. Sollte man hier auch geistig gesund eingewiesen werden, in den kleinen Zellen würde man es wohl nicht lange bleiben.

Nicht Ein-, sondern Ausgesperrte sind in The Land Between von David Fedele zu sehen. Der australische Regisseur filmte das Leben in einem provisorischen Lager, das afrikanische Flüchtlinge in Marokko am Grenzzaun der spanischen Enklave Melilla errichtet haben. Von lokalen Banditen und Polizisten gleichermaßen bedroht, warten sie mitunter jahrelang auf eine Chance, europäisches Territorium zu erreichen. Oft wird vom Skandal an den Außenmauern der EU gesprochen, hier kann man ihn mit eigenen Augen sehen.

Von einem sehr speziellen afrikanischen Schicksal erzählt Noaz Deshes Spielfilmdebüt White Shadow, die Geschichte des jungen Albinos Alias, der in dem von altem Aberglauben geprägten Tansania aufgrund seiner Hautfarbe um sein Leben fürchten muss. Nach der Ermordung seines Vaters schlägt er sich als Straßenhändler und Müllsammler durch, während in der Finsternis der Nacht die Macheten funkeln.

Tatsächlich bizarr mutet bei all dem Horror ein Special zu alternativen Pornofilmen mit so launigen Titeln wie Dildoman und Much More Pussy an. Virginie Despentes' Doku Mutantes gibt zudem Einblicke in die feministische Pro-Sex-Bewegung. Trotz interessanter Protagonistinnen wie Annie Sprinkle und Lydia Lunch ist es wohl eine der uninspiriertesten Arbeiten des Festivals.

Ebenfalls primär auf Talking Heads beschränkt, aber ungleich fesselnder ist Nadav Schirmans Film über Mosab Hassan Yousef, The Green Prince, der als Sohn eines Hamas-Mitgründers zum vielleicht wichtigsten Informanten des israelischen Inlandsgeheimdienstes wurde. Nur von Yousef und seinem Kontaktmann erzählt, bietet der Film neben einer spannenden Geschichte auch Einblicke in einen seit Jahrzehnten andauernden Konflikt wie in universelle menschliche Konflikte. (Dorian Waller, DER STANDARD, 4.12.2014)