Der Avantgardekünstler Tony Conrad ist Regisseur, Musiker, Komponist und vieles mehr. In die Kunsthalle Wien hat er gar viele Metaebenen eingezogen.

Foto: Stephan Wyckoff / Kunsthalle Wien

Wien - In der Kunsthalle am Karlsplatz muss man derzeit ein bisschen aufpassen, dass man sich nicht an der Kunst die Nase anhaut. Das, was der US-amerikanische Künstler Tony Conrad (geb. 1940) kokett Paintings nennt, sind in Wahrheit nämlich großflächige Glasplatten, die frei im Raum aufgehängt sind. Eigentlich ist es fast so, dass man, bevor man Conrads Paintings entdeckt, alles andere sieht: die restliche Schau, andere Besucher, den Straßenverkehr.

Conrads "unsichtbare" Paintings erinnern zunächst an den US-amerikanischen Komponisten John Cage. Dessen Schlüsselwerk 4'33'' besteht darin, dass ein Pianist auf die Bühne geht, den Klavierdeckel aufklappt, dann aber nicht spielt. Cages Konzept bestand darin, die Hintergrundgeräusche des Konzertsaals, all das, was man gemeinhin überhört, zur Komposition zu erklären. Cages wegweisendes Stück war das radikalste Resultat des Versuchs, die Handschrift des Komponisten zurückzunehmen und den Klängen größtmögliche Autonomie zu verschaffen.

Was bei Cage die Dauer des Stücks ist, das sind bei Tony Conrad die Abmessungen der Glasplatten: eine minimale Information darüber, wo die Kunst anfängt und aufhört. Conrad hat aber noch einen weiteren Kunstgriff getan. In seine Paintings sind kleine Kreise, quasi Gucklöcher, geschnitten. Dem Betrachter wird also nicht nur ein Bilderrahmen angeboten, sondern auch ein eng eingegrenzter Standpunkt.

Politik des Blicks

Wenn es nach Gareth Long geht, dem Künstlerkurator der Ausstellung Über zwei Ecken, dann zwingt das Guckloch den Betrachter sogar dazu, auf eine bestimmte Weise zu schauen. Die Macht, die Blicke lenkt, ist nämlich ein grundlegendes Thema dieser Personale. Conrad interessiert sich etwa für jene kulturgeschichtliche Wende, in der die lineare von der Zentralperspektive abgelöst wurde: Welche sozialen Faktoren sorgten in der Renaissance dafür, dass man von zweidimensionalen, "objektiven" Bildern abkam und zu räumlichen Darstellungen gelangte, die einen subjektiven Betrachter voraussetzen?

Auf die politischen Dimensionen der Blicklenkung bzw. Überwachung verweist die Installation Jail: Conrad hat zwei Gefängniszellen installiert, die mit ihrer Konkretheit einen Kontrapunkt zu den minimalistischen Arbeiten bieten: Hochbetten, Nachttöpfe, Waschbecken und Gitterstäbe.

Besucher sind eingeladen, diese Installation, die ursprünglich ein Filmset war, zu betreten. Der dazugehörige Film wird unterdessen durch die Gitterstäbe der Zellen hindurch an die Wand projiziert. Das heißt: Während sich die Besucher fragen, ob sie nun "innen oder außen" stehen, überlagern sich Filmgitterstäbe, echte Gitterstäbe und deren Schatten. Klingt komplex, ist es auch. Selbst Conrad gibt die eigene Schau noch Rätsel auf. Und das sei gut so.

Steigern kann man diese Verwirrung über die Anordnung der Metaebenen fast nur noch, wenn man sich dann alles durch die absurden Gucklöcher in den Glasplatten anschaut. Ganz zu schweigen von der Möglichkeit, sich alles auch vom Karlsplatz draußen anschauen zu können. (Roman Gerold, DER STANDARD, 4.12.2014)