Christian Springer, investigativer Kabarettist aus Bayern.

Foto: Günter Schmied

Im zweiten Stock dieses Hauses in Damaskus soll NS-Massenmörder Brunner gewohnt haben. Laut Springer haben Polizisten am Ein- und Ausgang der Straße gewacht. Das Bild stammt von 2006.

Foto: Christian Springer

STANDARD: Seit 1945 wurde der Burgenländer Alois Brunner oft für tot erklärt. Auch nach der Flucht nach Syrien, wo er als Georg Fischer lebte. Glauben Sie, dass er jetzt tatsächlich tot ist?

Christian Springer: Der Mann ist öfter gestorben als alle Gegenspieler von James Bond. Er wäre jetzt 102. Ich glaube, er starb im Frühjahr 2001.

STANDARD: Was macht Sie da so sicher?

Springer: Er wurde viele Jahre, als er schon kränklich war, von syrischen Beamten bewacht. Die Kinder eines Freundes von mir gingen in den Kindergarten mit Kindern einer der Polizeiwachen. Der hat mir glaubhaft versichert, dass er 2001 verstorben ist. Aber der größere Skandal ist, dass wir 2014 Schlagzeilen mit Brunners Namen lesen, nachdem jahrzehntelang überhaupt nichts passiert ist, obwohl er einen Steinwurf von der deutschen Botschaft entfernt in Damaskus lebte.

STANDARD: Was dachten Sie, als vor wenigen Tagen das Simon-Wiesenthal-Center vermeldete, Brunner sei 2009 oder 2010 verstorben?

Springer: Ich halte diese Meldung für lächerlich. Im besten Fall ist sie bewusst gestreut und der Beginn von etwas. Aber es geht nicht darum, in welchem Jahr oder zu welcher Uhrzeit er gestorben ist. Die Frage ist, warum ließ BND-Chef Hanning (August Hanning, ehemaliger Präsident des Bundesnachrichtendiensts, Anm.) 200 Akten über Brunner vernichten, warum wurde noch 1992 von deutschen Behörden Geld an Brunner nach Syrien geschickt? Und warum hatte der BND noch 1999 Kontakt zu ihm? Die Öffentlichkeit und die Angehörigen seiner Opfer haben ein Anrecht auf Aufklärung. Was hatte die Politik damit zu tun?

STANDARD: Was hat es Ihrer Meinung damit auf sich, dass Brunner auf der Paylist der CIA war?

Springer: Alle Informationen bezüglich Brunner nach 1944 sind sehr rar, und in Syrien war er ein Staatsgeheimnis. Ob die CIA auch involviert war, kann ich nicht sagen. Er taucht nur auf einer Liste der Vorgängerorganisation CIC auf.

STANDARD: Wie sehr Syrien ihn geschützt hatte, erfuhren Sie am eigenen Leib ...

Springer: Ja, ich hatte 1999 einen Tipp bekommen, dass er sich in der Gebirgsregion bei Lattakia in der Heimat der Assad-Familie aufhielt. Er wurde ja schon vom Vater des heutigen Machthabers geschützt. Allein als ich dort nur seinen Namen beziehungsweise seinen Decknamen "Fischer" nannte, wurde ich sofort von der Polizei mitgenommen und in einem Keller der Polizeistation in Slunfe festgehalten. Erst nach einem Tag kam ich frei.

STANDARD: Hatten Sie Angst?

Springer: Ich bin kein großer Angsthase, aber ich hatte nie vorher und nie nachher in meinem Leben so große Angst. Man hätte mich ja leicht verschwinden lassen können.

STANDARD: Österreich schrieb 2007 noch 50.000 Euro auf den Kopf von Alois Brunner aus, Syrien lieferte ihn aber ohnehin nicht aus. Wie viel Schuld trifft da die Behörden in Österreich und Deutschland?

Springer: Auch Deutschland hatte lange davor 500.000 D-Mark auf ihn ausgelobt. Das hat auch nichts geändert. Die Auslieferung eines NS-Massenmörders ist immer der allerletzte Schritt. Das Problem war ja, dass Syrien überhaupt abstritt, dass er dort war. 1985 tauchte dieses Foto von ihm auf, das ihn mit Sonnenbrille in Syrien zeigt. Sie müssen sich vorstellen: Die deutschen Behörden brauchten ganze sieben Jahre, um ihn auf diesem Bild als Alois Brunner zu identifizieren. Bei jedem S-Bahn-Sprayer passiert das in einem Tag.

STANDARD: Das klingt nach Hinauszögern, wie es in vielen solchen Fällen passiert ist - mit Erfolg.

Springer: Aber wer glaubt, dass das Verstecken von Altnazis für die Öffentlichkeit Schnee von gestern ist, täuscht sich. Erst vergangene Woche habe ich aus meinem Buch "Nazi komm raus!" gelesen. Der Saal war gesteckt voll, auch mit Jungen. Auch im Kino ist das Thema noch präsent, und wenn Comedians sehr lustig sein wollen, kleben sie sich immer noch einen Hitlerbart an die Oberlippe.

STANDARD: Man sagt, Sie kennen Brunners Testament. Was steht da drinnen?

Springer: Es ist kein Testament, wo er sagt, wem er seine Briefmarkensammlung vermacht. Es ist eine Rechtfertigung. Er ist aus seiner Zeit nie rausgekommen.

STANDARD: Ein politisches Vermächtnis?

Springer: Ja, so etwas in der Art.

STANDARD: Er hat in Syrien noch bedauert, den Massenmord an Juden nicht vollendet zu haben. Reue zeigt er nie?

Springer: Nein, nie. (Colette M. Schmidt, DER STANDARD, 4.12.2014)