Supraleitung führt zu einer ganzen Reihe von seltsamen Effekten. So lässt etwa der sogenannte Meißner-Ochsenfeld-Effekt einen Magneten über einem Stickstoff-gekühlten Supraleiter schweben. Dass es auch ganz ohne Kühlung geht, haben Experimente mit kurzen Infrarot-Laserblitzen im Vorjahr gezeigt.

Foto: Peter Nussbaumer / GFDL

Hamburg - Supraleitung ist ein ungewöhnliches Phänomen, das der Physik erst seit knapp hundert Jahren bekannt ist: Materialien mit dieser Eigenschaft können elektrischen Strom ohne jeden Widerstand und damit völlig verlustfrei transportieren. Damit dieser Effekt zum Tragen kommt, müssen die Materialien auf äußerst tiefe Temperaturen heruntergekühlt werden. Selbst sogenannte Hochtemperatur-Supraleiter aus Keramik benötigen noch Temperaturen von rund 200 Grad Celsius unter Null.

Dass das jedoch nicht immer so sein muss, zeigte ein Aufsehen erregendes Experiment im vergangenen Jahr: Physikern gelang es mit Hilfe von kurzen Infrarot-Laserblitzen eine Keramik bei Raumtemperatur supraleitend zu machen. Warum das so ist, blieb ein Rätsel. Nun hat ein internationales Forscherteam eine mögliche Erklärung dieses Effekts präsentiert. Die neuen Erkenntnisse könnten bei der Entwicklung von Materialen helfen, die bei deutlich höheren Temperaturen supraleitend werden und dadurch für neue Anwendungen interessant wären.

Ursprünglich kannte man Supraleitung nur in einigen Metallen, und zwar bei Temperaturen knapp oberhalb des absoluten Nullpunkts bei minus 273 Grad Celsius. Doch in den achtziger Jahren entdeckten Physiker eine neue Klasse, basierend auf keramischen Materialien. Diese leiten Strom bereits bei Temperaturen von rund minus 200 Grad Celsius verlustfrei, deshalb bezeichnet man sie als Hochtemperatursupraleiter. Eine dieser Keramiken ist die Verbindung Yttriumbariumkupferoxid (YBCO). Sie zählt zu den aussichtsreichsten Materialien für technische Anwendungen wie supraleitende Kabel, Motoren und Generatoren.

Spezielle Struktur macht YBCO supraleitend

Der YBCO-Kristall hat eine spezielle Struktur: Dünne Doppelschichten aus Kupferoxid wechseln sich mit dickeren Zwischenlagen ab, die neben Kupfer und Sauerstoff auch Barium enthalten. Ausgangspunkt der Supraleitung sind die dünnen Kupferdioxid-Doppelschichten. Hier können sich Elektronen zu sogenannten Cooper-Paaren zusammenfinden. Diese Paare können zwischen verschiedenen Lagen "tunneln", können diese Lagen bildlich gesprochen durchqueren wie Geister eine Wand – ein typischer Quanteneffekt.

Supraleitend wird der Kristall allerdings erst unterhalb einer kritischen Temperatur. Erst dann nämlich tunneln die Cooperpaare nicht nur innerhalb der Doppelschichten, sondern "spuken" auch durch die dickeren Lagen hindurch zur nächsten Doppelschicht. Oberhalb der kritischen Temperatur fehlt diese Kopplung zwischen den Doppelschichten, das Material wird ein schlecht leitendes Metall.

Des Rätsels Lösung: Verschobene Atome

2013 hatte ein internationales Team um Max-Planck-Forscher Andrea Cavalleri entdeckt, dass YBCO, wenn man es mit Infrarot-Laserblitzen bestrahlt, kurzzeitig bei Raumtemperatur supraleitend wird. Offenbar hatte das Laserlicht die Kopplung zwischen den Doppelschichten im Kristall verändert. Der genaue Mechanismus aber blieb unklar – bis ihn die Physiker nun mit einem Experiment an der Linac Coherent Light Source (LCLS) enträtseln konnten, dem stärksten Röntgenlaser der Welt in den USA. "Zunächst schickten wir erneut einen Infrarotblitz in den Kristall, er regte bestimmte Atome zu Schwingungen an", erläutert Max-Planck-Physiker Roman Mankowsky, Erstautor der aktuellen "Nature"-Studie. "Kurz darauf schickten wir einen kurzen Röntgenblitz hinterher, um die genaue Kristallstruktur des angeregten Kristalls zu vermessen."

Das Ergebnis: Der Infrarotblitz hatte die Atome nicht nur in Schwingungen versetzt, sondern zusätzlich ihre Position im Kristall verschoben. Dadurch wurden die Kupferdioxid-Doppelschichten kurzzeitig um zwei Pikometer – ein Hundertstel Atomdurchmesser – dicker, die Lage zwischen ihnen um denselben Betrag dünner. Das wiederum erhöhte die Quanten-Kopplung zwischen den Doppelschichten so stark, dass der Kristall für wenige Pikosekunden bei Raumtemperatur supraleitend wurde.

Basis für neue Supraleiter

Zum einen hilft das neue Resultat, die noch unvollständige Theorie der Hochtemperatursupraleiter zu verfeinern. "Zum anderen könnte es Materialforscher dabei unterstützen, neue Supraleiter mit höheren Sprungtemperaturen zu entwickeln", sagt Mankowsky. "Bis hin zum Traum eines Supraleiters, der bei Raumtemperatur funktioniert und ganz ohne Kühlung auskommt." Bislang müssen supraleitende Magnete, Motoren und Kabel noch mit flüssigem Stickstoff oder Helium auf extreme Minusgrade gebracht werden. Könnte man auf diese aufwendige Kühlung verzichten, dürfte das für die Technik einen gewaltigen Durchbruch bedeuten. (red, derStandard.at, 06.12.2014)