Pretoria - Nach heftiger Kritik am milden Urteil gegen Paralympics-Star Oscar Pistorius geht der Sensationsprozess in Südafrika in die nächste Runde. Staatsanwalt Gerrie Nel will das seiner Meinung nach viel zu geringe Strafmaß von fünf Jahren Haft wegen fahrlässiger Tötung von Reeva Steenkamp anfechten - und Richterin Thokozile Masipa davon überzeugen, einem Berufungsverfahren zuzustimmen.

Sieben Wochen nach der Verurteilung des Weltrekordlers steht am kommenden Dienstag (9. Dezember) in Pretoria die erste Berufungsverhandlung an. Der mittlerweile 28-jährige Pistorius hatte in der Nacht zum 14. Februar 2013 seine Freundin durch eine geschlossene Badezimmertür erschossen. Er beteuerte stets, er habe einen Einbrecher im Haus vermutet, und es habe sich um einen tragischen Irrtum gehandelt.

Fahrlässige Tötung

Nel hatte Pistorius wegen Mordes angeklagt. Darauf steht in Südafrika lebenslange Haft. Richterin Masipa befand jedoch am 12. September, dafür seien keine hinreichenden Beweise vorgelegt worden. Sie stufte Zeugen der Anklage als wenig glaubwürdig ein und sprach Pistorius lediglich der fahrlässigen Tötung schuldig.

Am 21. Oktober verurteilte sie ihn zu fünf Jahren Haft. Seither sitzt der beinamputierte Sprinter in einem Gefängnis in Pretoria. Rechtsexperten betonten aber, dass er bei guter Führung eventuell schon nach wenigen Monaten aus dem Gefängnis entlassen und stattdessen unter Hausarrest gestellt werden könnte.

"Grob fahrlässig gehandelt"

"Das Urteil (...) ist schockierend mild und unangemessen und wäre von einem vernünftigen Gericht so nicht gefällt worden", heißt es in einem Dokument der Nationalen Strafverfolgungsbehörde (NPA) an das oberste Gericht in Pretoria. Eines der Hauptargumente von Staatsanwalt Nel ist, dass Pistorius vier Schüsse auf einen kleinen Raum abgefeuert habe, aus dem es kein Entkommen gab. Er habe deshalb "grob fahrlässig gehandelt", so der Jurist.

Bei der Verhandlung dürfen sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Verteidigung unter Führung von Staranwalt Barry Roux ihre Argumente präsentieren. Anschließend müssen sie sich den Fragen von Masipa stellen. Experten erwarten, dass die Richterin die Berufung genehmigen wird. Sie war nach dem Urteil nicht nur von Juristen, sondern auch von Frauenverbänden scharf kritisiert worden.

"Sie wird dem Antrag wahrscheinlich zustimmen", sagte der Anwalt Matthew Maphalwa. "So kann ein Berufungsgericht das Urteil genau prüfen und alle Unsicherheiten aus dem Weg räumen." Falls die Staatsanwaltschaft das Verfahren gewinnen sollte und das Urteil schließlich auf vorsätzlichen Mord lautet, müsste Pistorius vermutlich erheblich länger ins Gefängnis. (APA/dpa, 4.12.2014)