Die Russen sind schon in der Speis" - so lautet einer der bekanntesten Sätze der ungarischen Filmgeschichte. Obwohl sich das Zitat auf den Zweiten Weltkrieg bezieht, würde der Schauspieler Imre Sinkovits mit seiner Zeile ein Vierteljahrhundert nach dem Fall des Eisernen Vorhanges auch nicht falsch liegen. Russland hat sich wieder in der ungarischen Speis versteckt, diesmal mit Einwilligung Budapests.

Die offensive Außenpolitik Moskaus bleibt nicht in der Ukraine stecken, die russische Führung drängt weiter in Richtung Westen vor und möchte Teile ihrer ehemaligen politischen und wirtschaftlichen Einflusssphäre zurückerobern. In weiten Teilen Osteuropas gibt es Widerstand, doch seit Jahren erhält der Kreml starken Rückhalt aus Budapest. Die Pläne der von Viktor Orbán angeführten Regierung zur politischen und wirtschaftlichen Annäherung Ungarns an Moskau sind seit seiner Rede über die Errichtung eines "illiberalen Staates" im letzten Sommer offiziell enthüllt.

Die als "Ostöffnung" getarnte Außen- und Wirtschaftspolitik zielt auf die Umwandlung des ungarischen Staates in ein autoritäres System, welches man aus asiatischen Ländern kennt. Die Einschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit, die Offensive gegen die Zivilgesellschaft, die Aushöhlung des Rechtsstaates, der Abbau demokratischer Institutionen und die staatlich gesteuerte Korruption sind Beispiele dafür, dass sich Ungarn auf einem den westlichen Werten entgegengesetzten Kurs befindet. Aserbaidschan sei ein "Musterland für Ungarn", sagte Orbán unlängst beim Besuch des aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Alijew in Budapest.

Für die "Verdienste" Orbáns gibt es Lob aus Moskau: "Ungarn ist einer der wichtigsten politischen und Handelspartner Russlands", erläuterte neulich Russlands Präsident Wladimir Putin vor Botschaftern in Moskau. Diese Einschätzung ist kein Wunder, wenn man die Entwicklung der bilateralen Beziehungen der letzten Zeit unter die Lupe nimmt. Zu Jahresbeginn einigten sich beide Seiten über den zehn Milliarden Euro teuren Bau zweier Meiler des AKW Paks.

In den Armen Moskaus

Im September schockierte Ungarn den Westen, als nach einem Budapest-Besuch vom Gasprom-Chef Alexej Miller die Erdgaslieferungen an die Ukraine eingestellt wurden. Jüngst rückte die ungarische Legislative mit einem Gesetz ins Rampenlicht, welches EU-Verfahren umgeht und den beschleunigten Ausbau der inzwischen ad acta gelegten South-Stream-Pipeline, die russisches Gas über den Balkan transportieren sollte, ermöglichen sollte. Energiepolitisch liegt Ungarn schon fest in den Armen Russlands.

Die Orbán-Regierung hat mit der dubiosen "Ostöffnung" das EU- und Nato-Mitglied Ungarn zum Schauplatz der neuesten Auseinandersetzungen zwischen Ost und West verwandelt. Zwar ist die Intensität der politischen Lage wesentlich niedriger als in der benachbarten Ukraine, die ungarische Gesellschaft ist anhand der Ost-West-Frage aber bereits tief gespalten. Dieser politische Riss hat sich bei den landesweiten Antiregierungsprotesten der vergangenen Wochen deutlich geäußert, wobei die EU-Fahne zu einem zentralen Symbol der Regierungsgegner geworden ist.

Premier Orbán, der der breiten Öffentlichkeit mit seiner Rede bei der Wiederbestattung von Imre Nagy im Juni 1989 bekannt wurde, forderte damals noch den Rückzug russischer Truppen aus Ungarn. Nach zahlreichen politischen Manövern und einer vollen Kehrtwende entschied er sich nun, sich gegen sich selbst zu stellen und ohne jegliche Konsultation sein Land in die komplette politische und wirtschaftliche Abhängigkeit von Moskau zu führen. Kaum jemand hätte damit gerechnet, dass das Sinkovits-Zitat 25 Jahre nach der Wende wieder Gültigkeit erlangt. (Balász Csekö, DER STANDARD, 5.12.2014)