Wien – 241 Menschen stehen bei Hemayat auf der Warteliste. Das gemeinnützige Betreuungszentrum in Wien-Alsergrund bietet seit 1995 psychologische und psychotherapeutische Hilfe für Folter- und Kriegsopfer an. Die Flüchtlinge, die dort Hilfe suchen, leiden an posttraumatischer Belastungsstörung, haben Albträume und Flashbacks, sind depressiv oder gar suizidal. "Wir können bei diesen Menschen nicht zeitgerecht eingreifen. Die Nachfrage ist weit größer als das, was wir finanzieren können", sagt Geschäftsführerin Cecilia Heiss bei einer Pressekonferenz am Donnerstag.

Gruppenangebote, bei welchen mehreren Menschen gleichzeitig geholfen werden könnte, hätten sich bei schweren Traumata als schwierig erwiesen – wenn ein Klient von einem traumatischen Ereignis erzählt, kann das bei einem anderen einen Flashback triggern, erklärt Psychologin Heiss.

Hemayat

Mit dem Kunsttherapieprojekt "Part" habe man einen Weg gefunden, die Menschen schon während der langen Wartezeit auf die Einzeltherapie aufzufangen. Bei der Kunsttherapie wird über die Erlebnisse nicht direkt gesprochen. Stattdessen werden Erinnerungen, Gefühle und Ängste künstlerisch ausgedrückt.

176 Menschen aus 23 Ländern konnte "Part" seit Oktober 2013 helfen. Finanziert wird das Projekt durch eine Kooperation mit der Hilfsorganisation Care. Denn für Kunsttherapie gebe es grundsätzlich keine öffentlichen Subventionen, sagt Heiss im Gespräch mit dem STANDARD.

Behandlungsmethode und Zusatzangebot

Nicht nur den Flüchtlingen auf der Warteliste wird die kunsttherapeutische Betreuung angeboten. Auch jene, die bereits mit einer Gesprächstherapie begonnen haben, werden in das eigens eingerichtete Atelier eingeladen. Frauen, Männer und Kinder werden dort in separaten Gruppen zu fünf bis zehn Personen je einmal wöchentlich für zwei Stunden betreut.

"Die Kunsttherapie ermöglicht einen zarten, sensiblen Zugang", sagt Edita Lintl, eine der zwei Hemayat-Kunsttherapeutinnen. Das sei wichtig, weil viele Menschen zunächst gar nicht über das Erlebte sprechen können oder wollen. Durch das schöpferische Tun öffnen sie sich für die Gesprächstherapie und beginnen zu erzählen. Für andere kann die Kunsttherapie als Behandlungsmethode ausreichen. Während der Atelierstunden werde nicht direkt über das Leid, sondern über die entstandenen Bilder, Zeichnungen oder Skulpturen gesprochen, erklärt Lintl. Die räumliche Möglichkeit zum Rückzug für ein Einzelgespräch bestehe aber auch.

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Im "Part"-Atelier wird gemalt, gezeichnet, gebastelt, getöpfert, getanzt, musiziert, gedichtet und Theater gespielt. Die Gewalt, der die Klienten ausgesetzt waren, sei spürbar, sagt Lintl. Kinder wollen Kriegssituationen nachspielen oder basteln Waffen aus Papier und Klebeband. An den Wänden im Atelier hängen Zeichnungen von erlebten Gräueltaten und abstrakte Motive, die Angst, Wut und Verzweiflung ihrer Urheber erahnen lassen.

Bei den Erwachsenen gebe es anfangs meist noch Widerstand, sagt die Therapeutin. "Ich kann das nicht" oder "Helfen Sie mir beim Zeichnen", würden viele sagen. Wenn sie verstanden haben, dass man nichts falsch machen kann, durchbrechen sie diese Barriere. Die Reaktionen der Klienten auf das Projekt seien durchwegs positiv, sagen Lintl und Heiss. "Viele fragen, warum sie nicht öfter kommen dürfen." (Christa Minkin, derStandard.at, 5.12.2014)