Sie kamen am helllichten Tag und baten vor der geschlossenen Tür um Zucker. Als die 19-jährige Frau nach einem Blick durch den Türgucker öffnete, stülpten sich die drei jungen Männer Strumpfmasken über und drangen mit einem abgesägten Gewehrlauf in die Wohnung in einem ruhigen Viertel von Créteil südöstlich von Paris ein. Das Trio verlangte alle Wertsachen – "weil Juden auf jeden Fall Geld haben und es nicht auf die Bank bringen", wie einer der Eindringlinge offenbar sagte.

Immer wieder wiederholte er solche Aussagen, erzählte das männliche Opfer am Donnerstag dem Radiosender France-Info. Einer habe fälschlicherweise behauptet, der Überfallene leite doch eine Kleiderladenkette. "Wir haben euch überwacht, ihr müsst Geld haben", habe ein anderer gesagt. Als das Paar nur Kreditkarten, Schmuckstücke, Computer und Telefongeräte herausgeben konnte, vergewaltigte einer die junge Frau, damit sie das vermeintliche Geldversteck preisgebe; erst nach einer Stunde verzogen sich die drei endlich.

Mutmaßliche Täter verhaftet

Zwei der drei mutmaßlichen Täter wurden nur Stunden später im Besitz des Diebesguts verhaftet. Im November hatte einer von ihnen bereits den Trick mit dem Zucker angewandt, um sich Zugang zur Wohnung eines 70-jährigen Juden zu verschaffen; beim damaligen Verdächtigen, der aus einem Immigrantenquartier der Nachbargemeinde Bonneuil-sur-Marne stammt, wurde die Polizei nun fündig. Die Festgenommenen müssen mit einer Anklage wegen Raubs, bandenmäßiger Vergewaltigung und "Gewalt wegen Zugehörigkeit zu einer Religion rechnen. Auch ein Komplize wurde verhaftet, während der dritte Mittäter flüchtig ist.

Jüdische Gemeinde reagierte schockiert

Innenminister Bernard Cazeneuve erklärte, der antisemitische Charakter der Tat scheine erwiesen zu sein. Die jüdische Gemeinschaft Frankreichs reagierte schockiert, wenn auch nicht überrascht. Nicht nur sie erinnert sich gut an die Entführung des jüdischen Telefonverkäufers Ilan Halimi, den die sogenannte "Gang der Barbaren" im Jahr 2006 drei Wochen lang festgehalten und zu Tode gefoltert hatte.

Vor Gericht hatte der aus Côte d'Ivoire stammende, zu 22 Jahren Haft verurteilte Bandenchef Youssouf Fofana bereitwillig erklärt, man habe absichtlich einen Juden entführt, weil man davon ausgegangen sei, dass dessen reiche Familie sicher "zahlen" werde.

Hollande verurteilt "unerträgliche Gewalt"

Der neuste Gewaltakt zeigt, dass die Affäre Halimi nicht der Einzelfall eines geistig gestörten Gewalttäters wie Fofana war. "Es geht weiter und wird immer schlimmer", erklärte Roger Cukiermann, Vorstand des jüdischen Dachrats CRIF, nach dem Raubüberfall von Créteil: "Diese antisemitischen Vorurteile richten große Schäden an."

Antisemitische Gewalt stark gestiegen

Staatspräsident François Hollande verurteilte die "unerträgliche Gewalt"; Premierminister Manuel Valls kündigte an, der bestehende nationale Plan gegen Rassismus und Antisemitismus werde überarbeitet. Laut Statistiken haben die antisemitischen Akte in Frankreich im ersten Halbjahr gegenüber der gleichen Vorjahresperiode von 276 auf 527, das heißt um 91 Prozent zugenommen. Körperliche Übergriffe nahmen dabei noch stärker zu als verbale Attacken oder Drohungen. (Stefan Brändle, derStandard.at, 4.12.2014)