Christian Steinbacher setzt (alten) Texten neue Gelenke ein, um sie zu verrenken.

Foto: Katharina Roßboth

Wien - "Doch die Straße wehrt es, der starre Wagen / Folgt nicht den Zügeln", schreibt Christoph Steinbacher in seinem neuen Gedichtband Tief sind wir gestapelt. Wollte man diese Verse auf das literarische Fortkommen des Autors beziehen, so müsste man klar widersprechen: Unter seinen Zügeln bricht der Wagen der Sprache aus den Spurrinnen aus, verlässt die Gemeinplätze und rast querfeldein.

Hätten diese Gedichte Knochen - sie wären vom Rasen über die Zeilen- und Gedankensprünge gebrochen. Dass dies Zweck der lyrischen Übung ist, macht der Vers "sprengst die Gelenke in barockes Maßwerk" klar: Steinbacher beschwört gegebene Formen, die er dann aufgreift, um sie zu reaktivieren, indem er ihnen "Gelenke" implantiert, die er sogleich in alle möglichen Richtungen auskegelt. Referenzen wie der Barockdichter und Jesuit Jacob Balde in der Übersetzung von Max Wehrli (der Umdichtungszyklus Auf Schnitt und Tritt) oder Paul Wühr, dem er als Geburtstagsgruß fünf Anagramme (Was, was, was, was, was) gefertigt hat, erhalten so in der Umdichtung eine ungeahnte, neue Beweglichkeit. Das "Instabile, / das Heimstatt sei doch auch, nämlich für Möglichkeiten" wird damit zum Konstruktionsprinzip dieser Gedichte.

1960 in Ried im Innkreis geboren, begann Steinbacher seine literarische Karriere in den 1980ern im Umfeld der Neuen Poesie. Seine Beobachtung "des Zulänglichen kaum man wen bezichtigt" strafen u. a. der Literaturpreis Wartholz (2010) und der Heimrad-Bäcker-Preis (2013) Lügen. Dabei räumt Steinbacher Irrtum und Mangel eine wichtige Rolle ein - nicht nur im literarischen Prozess: "statt Sprachbeherrschung Sprachvertrauen", fordert er, denn die Abweichungen müssten ihren Platz haben, da "für Sinngebungen oft sie von Vorteil sind".

Mit diesen Sinngebungen verbindet der Dichter nicht nur poetische, sondern auch gesellschaftliche Überlegungen: "Erst wo das Andre durch die Rechnung Striche machte, / würd es auch Wirkung zeit'gen, nicht bloß konversieren. / Ein deckungsgleiches Räuspern reicht dann eben doch nicht / für ein Zusammenstehn".

Steinbachers Dichtung mag also Spiel mit der Tradition sein, doch ist sie keineswegs dem Heute entfremdet. Alltägliches (Supermarkteinkäufe, Abflussrohre) findet ebenso Eingang in die oft flapsig betitelten Gedichte wie Trivia der Chronik - wer etwa muss bei den Versen "dass diese Firma ihrem Testimonial / hätte bezahlt die Kosten des Entzugs, auf dass es / tret weiter in Erscheinung, Testimonials / nennt man inzwischen Trademark" nicht an die koksende Kate Moss denken?

Häufig führt dabei Konkretes zu universellen Überlegungen. Und mag manches mitunter auch banal wirken, so öffnet sich anderes von der Oberfläche in die Tiefe. Die besten Stellen des Bandes lassen sich gleichsam als Reflexionen über das Leben wie auch das Schreiben lesen: "Vor nicht Geäußertem brauchst du nicht zu bestehen", "welch Grenze wäre nicht willkürlich bloß?", "denn nur was keine Hoffnung weckt, beleidigt nicht".

Das neue Gelenk ist drin. (Michael Wurmitzer, DER STANDARD, 5.12.2014)