Schlechte Chefs können Ihre Gesundheit gefährden. Zum Beispiel: Eine englische Studie zeigte, dass der Blutdruck englischer Krankenschwestern, die autoritär geführt wurden, deutlich höher war als von solchen, deren Chefin kooperativ führte. Es ist beobachtbar, dass Vorgesetzte, in deren Organisationseinheiten viele Krankenstände auftreten, diese beim Wechsel in andere Abteilungen "mitnehmen".

Betroffene könnten sich also folgende Frage stellen: Einen wie langen Schatten lässt man einen als schlecht erlebten Chef auf die Arbeitssituation insgesamt werfen? Unsere Erhebungen zeigten, dass Mitarbeiter einerseits ihre Kunden, andererseits ihre Kollegen für ihre Leistungserbringung für mindestens genauso bedeutsam halten wie ihren Vorgesetzten. Unsere Beratungserfahrung zeigt: Wenn Mitarbeiter ihre Verärgerung über die Chefität ein Stück durch- und aufgearbeitet sowie einige neue Verhaltensmöglichkeiten identifiziert haben und sich in der Folge wieder mehr auf ihre Arbeit konzentrieren sowie Formen kollegialer Unterstützung ausbauen, löst das Verhalten des Vorgesetzten viel weniger negative Reaktionen auch dann hervor, wenn sich die Zufriedenheit mit ihm nicht sonderlich ändert.

Aufmerksamkeit auf Erfreuliches

Das führt hin zur Frage: Wie sehr muss und will ich es zulassen, dass mir mein Chef meine Freude an der Arbeit versaut? Wie sehr kann ich mich innerlich von ihm abwenden und meine Aufmerksamkeit auf Erfreulicheres und Produktiveres richten? Wie viel Macht über mich hat er wirklich, wie viel gebe ich ihm?

Wie sehr uns jemand psychisch kränken kann, hängt nicht nur von ihm, sondern auch von uns ab. Chefs können uns deshalb mehr kränken, weil sie uns in einen Zustand versetzen können, der an der Oberfläche durch aktuelles Verhalten bedingt ist, in unseren Tiefenstrukturen aber durch frühe Erfahrungen mit unseren ersten Bezugspersonen geprägt ist. Die Psychoanalytiker sprechen von Übertragung. Man überträgt die eigenen Prägungen durch Autoritätspersonen auf Vorgesetzte und gibt ihnen damit, insbesondere, wenn man unter Druck gerät, mehr Macht, als der aktuellen Situation angemessen ist.

Kritische Auseinandersetzung

Es ist daher einerseits hilfreich, sich in zugespitzten Situationen mit Vorgesetzten die eigenen Muster im Umgang mit Machtträgern vor Augen zu rufen, andererseits zu beobachten, wie Kollegen auf ihre Art mit dem Chef zurechtkommen. Diese kritische Auseinandersetzung ermöglicht, einige Schritte zurück zu machen und neue Verhaltensweisen abzuleiten.

Solche können auch in der Solidarisierung mit Kollegen bestehen, im gemeinsamen Erzeugen von Gründen für den Chef oder seine Chefs, eine Veränderung der Situation herbeizuführen. Falls dies nicht gelingt, sollte man sich eine Erfahrung von Familientherapeuten vor Augen halten: Sadomasochistische Beziehungen sind die stabilsten. Firmen sind jedoch Arbeitsorganisationen und keine Familien. Eine Trennung ist daher leichter möglich. Unsere wirkliche Freiheit besteht nicht darin, unsere Umgebung so zu verändern, wie wir sie gerne hätten. Persönliche Freiheit bedeutet vor allem, sich eine Umgebung zu suchen, die zu einem passt. Dies gilt auch im Zusammenhang mit Chefs. (Wolfgang Gratz, Horst Röthel, Sissi Sattler-Zisser, DER STANDARD, 6./7./8.12.2014)