Die Sonne, die in der griechischen Antike auf die Stirn der Bauern brannte, die ihr Feld bestellten, war nicht die Sonne. Es war Gott Helios, der den Sonnenwagen über den Himmel lenkt. Im Gegensatz zur "profanen Zeit" des Bauern, der unten schuftet, vollzieht sich die Fahrt des Sonnengottes in einer "heiligen Zeit". Es ist ein mythisches Ereignis, das sich für die Menschen Tag für Tag wiederholte.
In der heiligen Zeit haben sich die Archai, die göttlichen Ursprungsgeschichten von allem, was ist, ereignet. Sie haben das Denken der Antike geprägt. "Die Ernte einzuholen wurde nicht nur als Nahrungsmittelproduktion verstanden, man huldigte damit der Fruchtbarkeitsgöttin Demeter", erklärt Walter Ötsch von der Johannes-Kepler-Universität Linz. Als Kulturhistoriker und Ökonom hat er sich damit beschäftigt, wie die Arbeit des Menschen in verschiedenen Epochen ausgesehen hat und welche Konzepte von Zeit sie damit verbunden haben.
Religiöse Interpretation
In der antiken Agrargesellschaft war der Umgang mit der Natur etwas Göttliches. Säen, Ernten, Fischen, Schmieden waren Handlungen, die religiös interpretiert wurden. Das soziale Korsett sowie Feste und Riten, die gemeinsam vollzogen wurden - alles entsprang den Taten der Götter. "Individuelle Freiheit ist eine Idee, die erst viel später kommen sollte", sagt Ötsch. "Der Mensch der Antike machte nichts aus sich. Er war ganz und gar dem göttlichen Tun unterworfen."
Tag und Nacht, die Phasen des Mondes und die Wiederkehr der Sterne: Die Kreisläufe der Natur prägten das antike Zeitgefühl. Erst das Christentum setzte den Grundstein für ein lineares Zeitverständnis. Zwar dachten auch die Bauern des Mittelalters Zeit als Wiederkehr von Jahreszeiten, von Entstehen und Vergehen. Doch Theologen und Adelige kannten auch noch etwas anderes. Sie zählten die "Jahre des Herrn", schrieben ein "Anno Domini" fort. Ötsch: "Die Kirche ist die Zeitexpertin. Sie gibt die Vorgaben für die Feste im Jahreskreis, der Zyklizität und Linearität verbindet: Jahr für Jahr wird darin die ganze Heilsgeschichte neu aufgerollt."
Die Natur im Mittelalter ist nicht mehr göttlich, dafür hat die Kirche viele Vorschriften parat. "Der mittelalterliche Bauer führt ein viel dumpferes Leben als ein aufgeklärter Bürger der Antike", sagt Ötsch. "Er lebt in einer magischen Welt, in der er Dämonen und Geistern begegnet." Im Gegensatz zum Pantheismus der Antike strebt er zu Gott und lässt sich vom Teufel verführen.
Der Arbeitsrhythmus auf dem Feld
Die mittelalterlichen Dorfbewohner sind gemeinsam auf dem Feld. Der Arbeitsrhythmus ist langsam, man singt und erzählt sich Geschichten. "Es war ein langsames Leben, in dem aber jederzeit plötzlich eine andere Wirklichkeit hereinbrechen konnte", sagt Ötsch. "Wenn dich der Dämon reitet, zückst du beim erstbesten Streit dein Messer. Wenn schwarze Wolken aufziehen, musst du rennen, um das Feld zu ernten und nicht zu verhungern." Und in der Zukunft, da wartete keine bessere Welt, sondern die Apokalypse.
Die Vorstellung von Arbeit war ambivalent, so Ötsch: Einerseits ist sie Strafe für den Sündenfall. Man arbeitet die Erbschuld ab. Andererseits wurde das Ernten des Weizens als Teilhabe an Gottes Schöpfung gesehen. Und bei den Mönchen heißt es "ora et labora", "bete und arbeite". Arbeit hatte im Mittelalter noch keinen Eigenwert. Das Nichtarbeiten der Fürsten und Theologen galt als Statussymbol. Anders war das nur in den Städten, wo Handwerker stolz auf ihre Arbeit waren - und bezahlt wurden. Langsam tauchten aus dem "feudalen Meer ein paar kapitalistische Inseln" auf. Venedig, Florenz - Stadtstaaten, in denen es keine Leibeigenschaft gab. Händler konnten zu Finanziers werden. Zinsen machten Zeit zu Geld.
Nach und nach setzten sich mechanische Uhren an den Kirchtürmen durch. Zwölf Glockentöne wurden auf die Zeit zwischen Sonnenauf- und -untergang aufgeteilt, Mönche experimentieren erstmals mit einer 24-Stunden-Aufteilung. Der Buchdruck bescherte nicht nur der Bibel hohe Auflagenzahlen, sondern auch den Wandkalendern. Das "Anno Domini" wurde langsam zum Gemeingut. In den Städten entstanden Kaufmannsgilden und Handwerkerzünfte, das Zukunftsbewusstsein wuchs. Die Barockzeit brachte die Erfindung der Pendeluhren und der Taschenuhr, getrieben von einer "Unruh". Die Zeit wanderte vom Kirchturm in die Jackentaschen und sorgte für effizientere Arbeitsabläufe.
Aufwertung der Arbeit
"In der größten europäischen Metropole und Welthandelsstadt ist der Tag schon so stark auf Planung ausgerichtet, dass der Uhrenbesitz bereits an der Schwelle zum 18. Jahrhundert zum bürgerlichen Selbstverständnis gehört", schreibt Thomas de Padova in seinem Abriss Leibniz, Newton und die Erfindung der Zeit über London. Spätestens im 18. Jahrhundert war dann auch fast jeder über die aktuelle Jahreszahl informiert.
Die Aufklärung brachte eine Moraldebatte. "Wir arbeiten. Wir sparen. Wir schaffen Wohlstand. Was tut ihr?", klagte das erstarkte Bürgertum den Adel an. Ihre theoretische Verfestigung erfuhr die Debatte bei Adam Smith, der Arbeit als Quelle des Werts festschrieb. "Reichtum wird erstmals nicht durch Natur oder Handel, sondern durch Arbeit erklärt. Das arbeitende Individuum erfuhr damit eine entscheidende Aufwertung", erklärt Ötsch.
Gleichzeitig konstruierte James Watt seine Dampfmaschine. "Smiths Kapitalismus war naiv, menschenfreundlich und fortschrittsgläubig." Von den Slums der industriellen Revolution, wie sie bald darauf in London entstehen sollten, wusste er noch nichts. "Auch wenn der Fortschrittsglaube Smiths gebrochen wurde, seine Kernaussage - Arbeit ist die Quelle von Wert - blieb."
Das Fabrikswesen, das mit der Dampfmaschine entsteht, brachte Arbeitsschichten und intensivierte die zeitliche Taktung. Das strenge Zeitregime hat sich bis heute erhalten, auch wenn die 80-Stunden-Woche nicht mehr selbstverständlich ist. Die Moderne fügte die wissenschaftliche Optimierung der Arbeit, etwa komplexe Zeitorganisationsschemata, hinzu. Die Taylorisierung brachte schnellere Zeitrhythmen. Erste Autos der Marke Ford wurden bereits am Fließband hergestellt.
Und die Gegenwart? Erwerbstätigkeit und Freizeit verfließen, Informationstechnologie und Social Media setzen der Kommunikation neue Zeitrahmen. Die Planbarkeit von Karrieren nimmt in Wohlstandsländern wieder ab. Die Zeit, nein, der Zeitbegriff steht nicht still, und die Arbeit ist ihm auf den Fersen. (Alois Pumhösel, DER STANDARD, 6.12.2014)