Diesen November hat das Augmented-Reality-Spiel "Ingress" seinen zweiten Geburtstag gefeiert. Aus einer kleinen Community an Early-Adoptern ist mittlerweile eine beachtliche Menge an "Agenten" geworden, die rund um die Welt verteilt auf zwei Fraktionen um Portale kämpfen und Felder errichten.

Als Vater des Games gilt John Hanke. Er leitet das Google-interne Start-up Niantic Labs und ist stellvertretender Leiter von Googles Sparte für Geo-basierte Produkte. Dem GameStandard ist er in einem Interview Rede und Antwort gestanden.

Zweiwochen-Takt bei Niantic

Ein großer Teil seiner Arbeit, sagt der Manager, dreht sich nach wie vor rund um "Ingress", obwohl Niantic mit "Endgame" mittlerweile an einem zweiten Augmented-Reality-Projekt auf Basis einer Buchreihe arbeitet. Er ist involviert ins Spieldesign, das Balancing und in leitender Position auch in die täglichen Diskussionen rund um eventuelle Änderungen.

Generell verfolgt Niantic einen zweiwöchigen Entscheidungsrhythmus. Alle 14 Tage findet eine große Teambesprechung statt, in der der Status Quo besprochen und Prioritäten gegebenenfalls neu gereiht werden.

Der allererste "Ingress"-Report, veröffentlicht Ende März 2013.
Ingress

Intel Map als Dauer-Ärgernis

Eine jener brennenden Themen der letzten Zeit war die Intel Map, jene im Browser abrufbare Karte, auf der sich Spieler eine Übersicht über die Portallandschaft verschaffen können. Niantic hatte augenscheinlich Maßnahmen gegen ferngesteuerte Spieler (Bots) und Skripte zur automatischen Beschaffung von Informationen gesetzt.

Diese führten jedoch auch dazu, dass zahlreiche auf Feld- und Aktionsplanung spezialisierte "Ingress"-Spieler (sogenannt Operatoren) aufgrund ihrer hohen Nutzungsfrequenz der Karte plötzlich gesperrt wurden. Das zog einen Protest der Spielercommunity nach sich, auch weil Klagen über die unzureichenden Möglichkeiten und schlechte Performance der Intel fast so alt sind, wie das Spiel selbst.

Planungs-Werkzeuge werden implementiert

Letztlich reagierte auch Niantic auf den Aufschrei und versprach Besserung. Die Intel habe nun höchste Priorität. In der Tat soll sich laut Hanke "sehr bald" etwas tun. Unter anderem wird die Intel-Map ein oftmals nachgefragtes Werkzeug erhalten.

Ein Link-Tracker wird Planern zukünftig verraten, welche Links der Errichtung ihrer Felder derzeit im Weg stehen. Ebenso wird das regionale Scoring integriert. Weitere Features sollen folgen. Aber: Eine eigene mobile App der Karte ist nach wie vor nicht in Planung.

Neue Gegenstände, neue Spielstile, höhere Levels

Auch das Gameplay soll erweitert werden. Zu rechnen ist unter anderem mit neuen Gegenständen, die laut dem Niantic-Chef "neue Spielweisen" ermöglichen sollen. Seiner Schätzung nach könnten erste Änderungen bereits im Januar oder Februar implementiert werden.

Generell steht auf der groben Vorhabens für das dritte Jahr von "Ingress" die Einführung von Spielelementen, die man eigentlich schon zum Start des Spieles 2012 geplant hatte, aber damals letztlich nicht realisieren konnte. Auch das maximale erreichbare Level wird, wie bereits in einem "Ingress Report"-Video angedeutet, angehoben werden. Welche Voraussetzungen man dafür setzen wird, steht aber noch nicht fest. Der genaue Plan für 2015 wird derzeit noch erarbeitet, sagt Hanke.

Foto: Niantic

Android Wear-Integration

Noch vor den neuen Spielelementen wollen die Entwickler aber damit beginnen, das Potenzial von Smartwatches und Android Wear für sich zu nutzen. Hinweise darauf hatten Tüftler bereits in den letzten Installationspaketen von "Ingress" entdeckt. Wenngleich auf einer Uhr kein vollwertiger Client realisierbar ist, soll es auch möglich sein, verschiedene Aktionen über das Handgelenk auszuführen.

Der Plan dahinter: "Ingress" soll als Tätigkeit sozialer werden. Man möchte ermöglichen, dass man unterwegs mit der Familie nebenbei ein paar Portale hacken kann, ohne sich dafür gleich mit dem Handy ablenken zu müssen.

Pay-2-Win-Sorgen (vorerst) unbegründet

Auch Vermerke zu Googles Bezahldienst Wallet konnten im Code der Setupdatei aufgespürt werden. Dies löste Sorgen aus, dass Niantic künftig "Pay-2-Win"-Mechanismen mit Mikrotransaktionen einführen könnte. Derzeit gibt es keinerlei Pläne dieser Art, beruhigt Hanke. Da man aber natürlich an Geschäftsmodellen für Augmented-Reality-Spielen forsche, könne er eine solche Änderung für die Zukunft nicht definitiv ausschließen.

Portal-Misere: Spieler sollen Verantwortung übernehmen

In etwas weiterer Ferne, Hanke spricht hier gegenüber dem GameStandard von "einigen Monaten", liegt eine Änderung der Prozesse zur Kontrolle von Portaleinreichungen. Spieler können Sehenswürdigkeiten und andere Plätze und Gebäude mit Foto einsenden, um sie als Portal auf der "Ingress"-Karte verfügbar zu machen. Doch die Einführung einer Medaille für erfolgreiche Einreichungen ("Seer") und der hohe Zufluss an neuen Spielern mit der Ausweitung auf iOS hat einen hohen Rückstau erzeugt.

Derzeit dauert es im Schnitt vier Monate von der Übermittlung eines Portalvorschlags bis zur Annahme oder Ablehnung, bestätigt Hanke. Abgewickelt wird alles manuell, Mitarbeiter gleichen die Einreichungen mit den von Niantic aufgestellten Kriterien ab und entscheiden auf dieses Basis. Unzählige Berichte über freigeschaltene, aber an der jeweiligen Stelle gar nicht existierende Objekte (Fake-Portale) beweisen jedoch, dass dies nicht nur in zeitlicher Hinsicht mehr schlecht als recht funktioniert.

Daher will Niantic die Kontrolle in die Hand der Spieler legen. So sollen "Local Experts" die Möglichkeit erhalten, Portale vor Ort zu validieren. Auch andere Mechanismen in diese Richtung deutet Hanke an, zumal die Spieler kommendes Jahr generell mehr Möglichkeiten erhalten sollen, eigene Inhalte ins Spiel einzubringen. Auch die erst vor einigen Wochen eingeführten Missionen sollen ausgebaut werden.

"Ingress"-Report zum Jubiläum.
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Überraschender Erfolg

Die bisherige Geschichte von "Ingress" bezeichnet Hanke für sich persönlich als eine "erstaunliche Reise voller Überraschungen". Man hatte zu Beginn zwar die Hoffnung auf positives Echo, doch die bisherige Entwicklung übersteige "alle Erwartungen". Überrumpelt sei man davon gewesen, wie wichtig der soziale Aspekt des Spieles sei. Auch mit dem großen Zuspruch zu den regelmäßig in verschiedenen Städten abgehaltenen Events, die teilweise von mehr als tausend Spielern aus aller Welt besucht werden, habe man ursprünglich nicht gerechnet.

Eine große Herausforderung war es auch stets, so schildert Hanke, die hinter dem Spiel stehende Technik angesichts der wachsenden Spielerschaft am Laufen zu halten. Gelegentliche Server-Ausfälle sind auch für die "Ingress"-Community nichts neues.

Globale Balance

Eine genaue Angabe zur Spielerzahl macht Niantic nach wie vor nicht, Hanke liefert aber zumindest eine grobe Angabe. Acht Millionen Mal sei das Spiel bislang heruntergeladen worden. Ein "großer Teil" jener Leute würde aktiv am Kampf um die Portale teilnehmen.

Das zahlenmäßige Verhältnis zwischen den beiden Fraktionen, den "Enlightened" und der "Resistance" sei dabei "ungefähr ausgeglichen". Daten zu regionalen Verteilungen gibt es nicht, entsprechende Erhebungen ziehe man aber in Erwägung, um in Zukunft vielleicht mögliche Auswirkungen starker Dominanz einer Seite zu erforschen.

Kein Ressourcenverlust durch "Endgame"

Das Projekt "Ingress" wird trotz des Riesenkonzerns Google im Hintergrund nach wie vor von einem relativ kleinen Team gestemmt. Niantic habe "über 60 Mitarbeiter", so der Firmenleiter, von diesen sei "gut die Hälfte" mit dem Spiel beschäftigt. Im vergangenen Jahr sei das Team gewachsen, eine Abwanderung von Ressourcen zugunsten dem Zweitprojekt "Endgame" werde es nicht geben.

Neue "Ingress"-Features werden in technischer Hinsicht zuerst auf einer nicht-öffentlichen Karte erprobt, ehe man sie innerhalb von Google zugänglich macht. Viele Mitarbeiter des Suchriesen seien passionierte "Agenten" und damit als Tester prädestiniert. Fällt das Feedback positiv aus, erhält die Allgemeinheit Zugriff.

Infografik: Statistiken zum zweijährigen Bestehen von "Ingress".
Foto: Niantic

Langfristige Perspektive

Auf die Frage, wie lange es ds Game ob seiner endlichen Hintergrundgeschichte noch geben wird, reagiert Hanke hoffnungsfroh. Er wünsche sich, dass das Spiel noch zehn oder mehr Jahre Bestand hat. Hinsichtlich der Story sei man derzeit in etwa bei der "Halbzeit" angelangt, erklärt er – der Halbzeit des ersten Kapitels. Wie bei einem guten Film sind nach Ende des Handlungsbogens und einem dramatischen Finale Fortsetzungen natürlich denkbar.

Hoffnung auf die Technik

Er selber hegt auch schon Pläne für andere Augmented-Reality-Spiele. Für das Genre an sich baut er auf den Fortschritt der Technik. "In zehn Jahren", gibt sich Hanke sicher, "werden wir Geräte haben, die in der Lage sind, die Realität und virtuelle Welt zu vermischen." (Georg Pichler, derStandard.at, 13.12.2014)