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Gestolpert, aber am Ziel: Bodo Ramelow bei der Angelobung.

Foto: AP/Jens Meyer

Erfurt/Berlin - Mucksmäuschenstill ist es am Freitagvormittag im Thüringer Landtag, als Landtagspräsident Christian Carius (CDU) jenes Wahlergebnis bekannt gibt, das mit so großer Spannung erwartet worden war: 45 Ja-Stimmen für Bodo Ramelow.

Doch das ist eine Stimme zu wenig. 91 Sitze gibt es im Thüringer Landtag. Der Regierungschef braucht für seine Wahl 46 Stimmen - genau so viele, wie das rot-rot-grüne Bündnis hat. Das bedeutet: Ein Abgeordneter hat dem Linken Ramelow die nötige Stimme verweigert. Ramelow selbst nimmt das Ergebnis nickend zur Kenntnis. Sein Traum, schon im ersten Wahlgang zum ersten linken Ministerpräsidenten Deutschlands gewählt zu werden, ist damit gerade geplatzt.

Doch es geht zügig weiter, der zweite Wahlgang steht an. Wieder werfen die 91 Abgeordneten ihre Stimmzettel in die Urne. Nach der Auszählung steht fest: Diesmal hat Ramelow alle 46 Stimmen von Linken, SPD und Grünen erhalten. Bei den Linken bricht Jubel aus, die erste Gratulantin ist allerdings die scheidende Thüringer Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU).

"Versöhnen statt spalten"

Wenig später wird der 58-Jährige vereidigt, auf die Formel "so wahr mir Gott helfe" verzichtet der gläubige Protestant. Ein Gast aus Berlin blickt mit sichtlichem Stolz von der Besuchertribüne hinab ins Plenum des Landtags. Es ist Gregor Gysi, Linken-Fraktionschef im Deutschen Bundestag. Sein Kommentar zum historischen Ereignis: "Es ist ein großer und schöner Tag auch in meinem Leben." Und er fügt hinzu: "Dass ich das noch erlebe."

In seiner ersten Rede als Ministerpräsident erinnert Ramelow an das Motto des früheren SPD-Bundespräsidenten Johannes Rau: "Versöhnen statt spalten." Dies wolle auch er sich zu eigen machen. Und er bittet die Opfer des SED-Regimes um Vergebung.

Dazu spricht er seinen anwesenden Freund Andreas Möller, der zu DDR-Zeiten im Stasi-Knast in Potsdam saß, persönlich an: "Dir und allen deinen Kameraden kann ich nur die Bitte um Entschuldigung überbringen."

Der CDU, die nach 24 Jahren die Macht abgeben musste und nun größte Oppositionspartei ist, bietetRamelow eine faire und sachliche Zusammenarbeit an. Dort ist die Stimmung gedämpft. Eigentlich hatte die CDU gehofft, dass Ramelow auch den zweiten Wahlgang nicht schaffen würde.

Dann hätten die Christdemokraten im dritten Wahlgang den ehemaligen Rektor der Uni Jena, Klaus Dicke (parteilos), ins Rennen geschickt. Die AfD (Alternative für Deutschland) hatte Zustimmung signalisiert.

Vorwürfe der CDU

In Berlin wirft CDU-Generalsekretär Peter Tauber der SPD vor, mit der Wahl eines Ministerpräsidenten der Linkspartei die Arbeit der großen Koalition im Bund zu erschweren. Und CDU-Fraktionschef Volker Kauder grollt Richtung SPD, diese Wahl werde er "nicht so schnell vergessen".

Scharfe Kritik kommt von der CSU. Generalsekretär Andreas Scheuer erklärt: "Mit Ramelow ist jetzt ein Topagent einer Ex-Stasi-Connection der Linkspartei Regierungschef geworden. Das ist ein Tag der Schande für das wiedervereinigte Deutschland."

Bundeskanzlerin Angela Merkel, die ein rot-rot-grünes Bündnis zuvor kritisiert hatte, ließ am Freitag durch ihren Sprecher Steffen Seibert ausrichten: "Es ist Staatspraxis, dass die Bundeskanzlerin jedem gewählten Ministerpräsidenten ihren Glückwunsch übermittelt." (Birgit Baumann, DER STANDARD, 6.12.2014)