Die erlösende Nachricht kam vergangene Woche: „Serial wird fortgesetzt“, ließ die Autorin Sarah Koenig auf ihrer Homepage wissen. Millionen Krimifans atmen erleichtert auf. Nach neun Folgen möchten sie auf ihre regelmäßige Dosis Suspense nicht verzichten.

Einmal mehr sorgt ein Fortsetzungskrimi für Furore in der Unterhaltungsindustrie. Mit dem Unterschied, dass es sich nicht um einen Kinoblockbuster handelt, auch nicht um eine epische Fernsehserie wie True Detective oder The Killing, nach der im Moment der Markt so dürstet. Es ist nicht HD, nicht 3D und schon gar nicht Ultra-HD. Die Geschichte um die ermordete Schülerin Hae Min Lee ist nicht fürs Auge, sondern fürs Ohr gemacht. Und als wäre das nicht genug: Wer wissen will, wie es weiter geht, muss bis zur nächsten Folge warten.

Derart Unerhörtes erlaubt sich seit 3. Oktober Sarah Koenig mit ihrem Audio-Serienkrimi Serial: Die Journalistin rollt in einem Podcast den wahren Fall des vor 15 Jahren zu lebenslanger Haft verurteilten Adnan Syed neu auf. Hae Min Lees Schulkollege wurde des Mordes beschuldigt, obwohl es keine physischen Beweise und nur einen Belastungszeugen gab. Die Geschichte ereignete sich in einem Vorort von Baltimore – seit der Fernsehserie The Wire scheinbar lohnender Boden für exzellente Serienware.

Fünf Millionen Abrufe

Mehr als fünf Millionen Menschen haben den Podcast allein über iTunes heruntergeladen, in so kurzer Zeit wie nie zuvor. Zudem kann er über die App des Radio-Klassikers This American Life abgerufen und auf serialpodcast.org gratis gestreamt werden. Als Koenig um Spenden für eine zweite Staffel bat, war nach einer Woche genug Geld vorhanden.

Podcasts wirken in einer Medienkultur, in der alles möglichst sofort verfügbar sein muss, seltsam aus der Zeit gefallen. Und das, obwohl ihre Geschichte erst vor rund 15 Jahren begann.

Im Jahr 2000 schlug der Publizist Tristan Louis das Konzept erstmals vor. Der ehemalige MTV-Moderator Adam Curry gilt auf Produzentenseite als Vater des damals „Audioblogging“ genannten Verfahrens. Den Begriff „Podcast“ erfand Ben Hammersley erst 2003. Als Apple begann, Hörabos anzubieten, kam es zu blitzschneller Verbreitung. Mit dem Aufkommen von Streamingdiensten, mit Inhalte jederzeit verfügbar sind, verlieren sie jedoch in den letzten Jahren an Bedeutung.

Trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb erlebt das Mediumin den USA geradezu ein Revival, wie ein Blick über die erfolgreichsten Aboradios des Landes zeigt:

Real Time With Bill Maher etwa ist nicht nur eine ziemlich beliebte Show im Fernsehen, HBO produziert mit dem beliebten Talker einen Podcast mit zahlreichen Zusatzangeboten.

The Thrilling Adventure Hour nimmt sich Hörspiele aus den 1930ern zum Vorbild.

Criminal erscheint monatlich, zu hören sind echte Kriminalfälle aus Opfer- und Täterperspektive.

Kino für die Ohren verspricht The Truth. Der bekannte Sounddesigner Jonathan Mitchell produziert zehn- bis 20-minütige Hörgeschichten, bereits im dritten Jahr.

Radio Diaries zeichnet Joe Richman auf: Über Audio-Tagebucheintragungen und Re-Enactement zieht er seine Figurenporträts auf.

99 % Invisible empfiehlt Vogue Hörern mit Obsession für Design und Architektur: Roman Mars liefert Hintergründe zum Mysterium des Ouija-Bretts, beschreibt, wie man Ikea-Möbel „redesignt“ und warum offenbar jeder Designer in Sessel liebt.

Nerdist ist seinem Namen verpflichtet: eingefleischte Fans von Star Wars, The Walking Dead etc. kommen auf ihre Kosten.

Stuff You Should Know orientiert sich an die How-To-Handlungsanleitungen von Youtube. Bedienungsanleitungen haben damit wohl endgültig ausgedient.

Völlig gegen den Strom schwimmt Longform: Hörerinnen und Hörer erhalten einen Einblick ins Verlegertum. Journalisten angesehener Blätter wie New Yorker, New York Times und Vanity Fair erzählen von ihrer Arbeit.

Beliebte Ö1-Journale

Hierzulande müssen Abokunden auf eigens Produziertes verzichten, als Phänomen der Vergangenheit will sie aber zumindest der ORF nicht sehen. Der Gebührenfunk bietet Podcasts in allen seinen Sendern an. Die Nutzung sei „auf hohem Niveau“ stabil. 16 kostenlose Podcast-Kanäle bietet etwa Ö1 an, darunter die wichtigsten Kurzformate. Die Journale erreichen in den stärksten Monaten bis zu 400.000 Abrufe. Ebenso beliebt sind Wissens-Podcasts. Wissen aktuell schafft laut ORF rund 100.000 Abrufe pro Monat, Betrifft: Geschichte meldet rund 140.000 Abrufe.

Die Downloadzahlen auf Ö3 sind seit rund drei Jahren stabil: 350.000 einzelne Ö3 Podcasts werden Monat für Monat heruntergeladen. Der beliebteste Podcast ist nach wie vor der Ö3-Comedy-Podcast, gemeinsam mit Claudia Stöckls Frühstück bei mir. Ö3 sieht die mobile Streamingnutzung im Vormarsch, der große Podcast-Boom sei vorbei.

Ähnliches registriert FM4: In den iTunes-Charts fänden sich nach regelmäßig mehrere Podcasts auf den vorderen Plätzen. Besonders gut kommt Comedy an, etwa die Science-Busters-Kolumne oder Projekt X, aber auch die Kolumne des „Low-Life-Experten“ Todor Ovtcharov.

Kurze Beiträge wie Kolumnen, einzelne Songs oder Interviews seien als Podcast nach wie vor populär, während man ganze Sendungen eher im On-Demand-Angebot sucht.

Die neue Folge von Serial ist ab Donnerstag zu hören. (Doris Priesching, DER STANDARD, 6./7./8.12.2014)