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Händler im Börsensaal werden zunehmend von Kollegen verdrängt, Computer mit Computer verhandeln lassen.

Foto: Reuters

Der Sieg fiel denkbar knapp aus. Der Österreicher Matthias Mayer gewann den Abfahrtslauf bei den Olympischen Spielen in Sotschi im Februar mit 0,06 Sekunden, also 60 Millisekunden, Vorsprung vor dem Italiener Christof Innerhofer. Ein "Hundertstelkrimi", schrieben Zeitungen. Tatsächlich entscheiden im Skisport heute oft Zeitspannen über Sieg oder Niederlage, die für Menschen nicht mehr wahrnehmbar sind.

Aber in der Welt der ultraschnellen Börsenhändler, der High-Frequency-Trader, ist Mayer so rasant unterwegs wie ein Elefant. In 60 Millisekunden können heute Aktienhändler in New York ihre Kaufbestellungen an die Börse in London schicken. 43 Millisekunden brauchen Aufträge von der Börse London nach Frankfurt.

Hochfrequenzhändler arbeiten in einem Tempo jenseits jeglicher Vorstellungskraft: In Tausendstelsekunden schließen sie Millionen Deals ab. Aber wie machen Trader aus Millisekunden Milliarden? Und wie beeinflussen die Deals die Stabilität auf den Finanzmärkten?

Die Suche nach Antworten beginnt an einem verregneten Herbstmorgen in Brüssel, im Büro von Manfred Bergmann. Der großgewachsene deutsche Ökonom ist ein hochangesehener Experte in der EU-Kommission. Er und sein Team haben 2011 die Finanztransaktionssteuer konzipiert.

Sand ins Getriebe

Geplant war die Ministeuer, deren Einführung noch heute in Europa diskutiert wird, bei allen Arten von Aktien-, Anleihen- und Derivatengeschäften einzuheben. Die Mehreinahmen können die Länder in Europa gut gebrauchen. Doch die Steuer verfolgt noch einen anderen Zweck: Dadurch, dass sie bei fast jeder Finanzmarkttransaktion anfällt, soll sie Tempo rausnehmen, die vielen Deals in kurzer Zeit weniger interessant machen. "Ein bisschen Sand ins Getriebe streuen", sagt Bergmann.

Die meisten Hochfrequenzhändler behaupten, dass sie eine wichtige Funktion am Markt erfüllen, indem sie Liquidität schaffen. Wenn zum Beispiel am Montag um elf Uhr vormittags die Deutsche Bank 1000 Siemens-Aktien für 93 Euro verkaufen will, kann es gut sein, dass sie keinen Abnehmer findet. Hier kommen die Hochfrequenzhändler ins Spiel.

Ihre Computersysteme geben permanent Kauf- und Verkauforder ab. Die Deutsche Bank findet also sofort einen Abnehmer. Turbohändler wie Jump Trading aus Chicago oder Hudson River Trading aus New York, erwerben Siemens-Papiere nicht um sie zu behalten. Wenn der erste Interessent kommt, verkaufen sie sie einen Tick teurer, für 93,05, weiter.

Profitabel ist das nur, wenn genug Transfers gemacht werden und das Tempo stimmt. Gibt Siemens schlechte Quartalszahlen bekannt, können die Tubohändler, noch bevor die Kurse fallen, in den Verkaufsmodus schalten. Doch hier fangen die Probleme an.

Maße und Tempo

Inzwischen sind zu viele Vermittler aktiv. War der Markt noch vor zehn Jahren inexistent, werden heute in den USA 70, und in Europa bis zu 40 Prozent der Transaktionen von Hochfrequenzhändlern gemacht. Vielfach handeln nur Computer mit Computern. Eine Aktie wandert heute durch dutzende digitale Hände, ehe sie wo landet. Die Schaffung neuer Börsen und die Liberalisierung des Handels haben diese Entwicklung befeuert. "Aber so viel Liquidität, wie da ist, schafft keine Effizienz", sagt der EU-Beamte Bergmann, "sie wird zum Selbstzweck." Dafür steigt das Risiko.

Deutlich wurde das am 6. Mai 2010: Damals verlor der US-Leitindex Dow Jones ohne ersichtlichen Grund binnen Minuten fast ein Zehntel seines Wertes.

Wie die US-Börsenaufsicht SEC später feststellte, waren Hochfrequenzhändler für den "Flash-Crash" verantwortlich gewesen. Die Computer hatten die Verkaufsorder eines Händlers überinterpretiert, weshalb sie begannen, Papiere "panisch" abzustoßen. Die Computer stachelten sich gegenseitig an. Die SEC fand heraus, dass zwischen 2:45:13 und 2:45:27, also in 14 Sekunden, ein Wertpapier 27.000-mal "wie eine heiße Kartoffel" hin und her verkauft wurde.

Der FI-Schalter im System

Aber wie ist das möglich? Die Frage führt nach London, zu Sviatoslav Rosov. Der Ökonom arbeitet für das CFA-Institut, eine Lobbyorganisation für konventionelle Investoren. Die auf Algorithmen beruhenden Programme der Turbohändler haben einen "FI-Schalter" eingebaut, sagt Rosov. "Wenn das System Unregelmäßigkeiten wahrnimmt, verkauft es alles und verschwindet aus dem Markt, um Verluste zu minimieren". Das Ganze geschieht so schnell, dass andere Händler oft nicht wissen, was los ist: Sie sehen nur, dass alle verkaufen und die Kurse fallen - wie beim Flash-Crash.

Wirklich problematisch findet Rosov aber eine zweite Gattung von Turbohändlern, die wie Raubfische agieren, ihre Gegner rauslocken und dann zuschlagen. An den Weltbörsen läuft der Handel heute virtuell ab. In den entsprechenden Computersystemen der Börsen Wien, Frankfurt und Tokio können Händler alle Order, also die Kauf- oder Verkaufsangebote sehen.

Geschwindigkeit kontert Deal

Ein Turbohändler kann anbieten, 1000 Siemens Aktien für 93 Euro zu kaufen. In dem Moment, in dem die Deutsche Bank den Deal ins System eingibt und an die Börse Frankfurt schickt, storniert der Fast Trader seine Order. Dank der Datenübertragung in Millisekunden kommt sein Storno schneller bei den Rechnern der Börse an - der Deal kommt nicht zustande.

Doch nun weiß der Turbohändler, was die Bank will und kann ein Kaufangebot für 92 Euro legen. Stornierte Order sind ein zentrales Element des schnellen Handels, wie die EU-Wertpapieraufsichtsbehörde Esma kürzlich herausfand. Esma hat Börsen in neun Ländern analysiert. Die Zahl der abgegebenen Order von Hochfrequenzhändlern ist demnach dreimal höher als die Zahl der Transaktionen.

Das Problem ist dabei nicht nur, dass reale Investoren viel Geld an die Turbohändler verlieren können. Nach Ansicht vieler Ökonomen pervertieren sie das System insgesamt: Eine Börse kommt einem idealen Markt am nächsten. Viele Händler, mit dem gleichen Wissen über ein Produkt treffen hier zusammen. Aber wenn der Faktor Zeit zum entscheidenden Informationsvorsprung wird, gilt dies nicht mehr. "Die Turbohändler drängen reale Investoren aus dem Markt", sagt Rosov.

Die Fast Trader wollen noch schneller werden. Bisher galten unterirdische Glasfaserkabel als beste Verbindung. Zuletzt haben Händler begonnen kabellose Mikrowellentechnologie einzusetzen. Das Know-how stammt von militärnahen Firmen. Im Juli wurde bekannt, dass der Turbohändler Jump Trading einen Nato-Funkturm in Belgien erworben hatte. (András Szigetvari, DER STANDARD, 6.12.2014)