2. April 2000, die Bahn in Mureck, Steiermark: Toni Pilotto, der viermalige Meister, beweist dieses spezielle "G'fühl".

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Toni Pilotto hat für seinen Sport sogar gehungert. Dafür ist er jetzt im Besitz eines Zettels, auf dem granz große Siege vermerkt sind.

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St. Johann im Pongau - "Das ist, wie wenn dich ein Ross ins Kreuz tritt" , sagt Toni Pilotto. Der 51-Jährige beschreibt plastisch und mit leuchtenden Augen, wie sich das für deren Reiter anfühlt, wenn eine Speedway-Maschine innert fünf Sekunden auf 100 km/h beschleunigt wird. Wenn bis zu 80, nun ja, Ross-Stärken, auf Material und Mensch wirken. Das hat, man glaubt es einfach, Suchtpotenzial. Weil oder obwohl das Bremsen in der unweigerlich der Gerade folgenden Kurve mangels entsprechender Einrichtungen am Motorrad so eine Sache ist. Da ist dann gefragt, was Pilotto nicht weniger plastisch und mit immer noch leuchtenden Augen "G'fühl im Oarsch" nennt.

Driften erfordert dieses spezielle "G'fühl", das der Salzburger Pilotto in reichem Maß besaß und wohl noch besitzt. Nicht anders sind die mehr als 100 Siege in rund 500 Rennen zu je mehreren Läufen zu erklären, die er im Verlauf einer alles in allem 20-jährigen Karriere feierte. Sie endete am 1. September 2001 idealerweise auf seiner Heimbahn in St. Johann in Pongau.

Der Wilde

Dort hatte sie auch begonnen, weil Anton Pilotto senior, ein Sohn Südtiroler Aussiedler, in Seitenwagenrennen zuweilen den Beifahrer gab. Anton junior, der zweitälteste der vier Pilotto-Söhne, der schon bei seinem Fahrrad der Anmutung wegen die Kotflügel kürzte, hätte Motocross vorgezogen. Die Verbauung der Salzach ließ schließlich nahe des elterlichen Spengler- und Dachdeckerbetriebs die schönsten Erdhügel entstehen. "Aber Motocross war zu laut. Und es gab Probleme mit der Polizei und im Gelände mit den Jägern. Auf der Speedway-Bahn kannst du so wild sein, wie du willst."

Zeit und Geld waren die Probleme, die der Speedway-Crack Pilotto zu bewältigen hatte. "Für mich stand der Beruf immer an erster Stelle." Weshalb er, bei Übernahme des Betriebs, sogar drei Jahre mit seinem Sport aussetzte. Spengler und Dachdecker ist Pilotto aber auch aus Berufung, er ist ein weithin anerkannter Fachmann, der bis zu 20 Mitarbeiter beschäftigte, im Ausschuss der Salzburger Innung sitzt und richtig zornig wird, wenn er eine Geringschätzung des Handwerks an sich wittert. "Einen Lehrling zu finden ist fast unmöglich."

Pilotto selbst hat in der Stadt Salzburg gelernt, gearbeitet hat er schon als Jugendlicher von früh bis spät, von Montag bis Freitag. Der Rest der Zeit, die Abende, die Wochenenden, gehörten ab dem 15. Lebensjahr dem Sport. Der verschlang viel Geld und sollte auch später, als Pilotto in Österreich und darüber hinaus längst eine fixe Größe war, mehr oder weniger nur so viel einbringen, wie zu seiner Ausübung nötig war.

Pilotto war viermal Meister in einer Zeit, als Speedway in Österreich das goldene Zeitalter zwar schon hinter sich hatte, das bleierne, also gegenwärtige, aber noch nicht so absehbar war. Dennoch blieb er trotz professionellen Auftretens ein Amateur. Zuweilen wirft sich das der heute gutsituierte Meister seiner Fächer auch ein wenig vor. "Ich habe finanziell nichts riskiert, vielleicht etwas zu wenig investiert."

Pilotto wollte sich nicht wie andere Motorsportler hoch verschulden, um mit noch besserem Material, noch besserem Umfeld noch erfolgreicher zu sein. Wenn andere während sechs Rennen mit ihren ausschließlichen Linkskurven drei Hinterreifen verschlissen, kam er mit einem, wegen des einseitigen Gummiabriebs immer wieder umgedrehten, aus.

"Mich hat eine Saison 400.000 Schilling gekostet. 200.000 kamen von Sponsoren, mit 200.000 waren die Preisgelder budgetiert." So konnte in der Szene nur einer reüssieren, wenn er den regelmäßigen Erfolg, der selbst jeweils nur wenige Schillingtausender einbrachte, auch durch regelmäßige Öffentlichkeitsarbeit weiter zu versilbern wusste. Pilotto war sehr früh medial gut vernetzt. Sein stets freundlich-verwegenes Auftreten half dem feschen Burschen bei der Presse. Seine Medienpräsenz ließ sogar Gerhard Berger, einen guten Freund und Förderer aus der Formel 1, "vor Neid erblassen".

Pilottos Lederkluft - die zuletzt strapazierte hängt gleich beim Eingang seines Betriebs - zierten daher auch bald unzählige Sponsorennamen. Die Unterstützung kam zumeist aus der unmittelbaren Umgebung, von lokalen Firmen, und bestand besonders zu Beginn oft nur aus Material, "aus Öl, Ersatzteilen. Aber ich war auch der erste Einzelsportler von Raiffeisen, lange vor Hermann Maier."

Dafür achtete Pilotto auch stets auf seine Auftritte. "Ich hatte den schönsten Tourbus. Meine Mechaniker hatten schon bald Hemden, auf denen 'Team Toni Pilotto' eingestickt war. Wenn wir meine Motorräder ausgeladen haben, haben die Leute g'schaut."

Pilotto, der - zu Beginn oft nur von seiner Freundin und späteren Ehefrau Martina begleitet - halb Europa abklapperte, garantierte den Veranstaltern in der Heimat wie nur wenige andere einschlägige Größen - Heinrich Schatzer, Adi Funk, Andi Bössner - hohen Zuschauerzuspruch. Ob in Mureck, in Natschbach-Loipersbach, Wiener Neustadt, Mattersburg. Auf vielen Bahnen, die heute nicht mehr bestehen, aber auch im benachbarten Ausland, vor allem in Deutschland.

Schon zu seiner Zeit war aber vor allem kommerziell der Abstand zu den Speedway-Zentren - England, Skandinavien, Deutschland, Polen - groß. 1987 verpflichteten ihn die Wimbledon Dons, später die King's Lynn Stars. "Ich fuhr gegen die Weltelite." Das Jahr in England war allerdings ein bitteres, denn der "Profi" Pilotto, aus dem Blickpunkt seiner lokalen Sponsoren gerückt, hatte mangels Fixums zuweilen zu entscheiden, ob er sich etwas zu essen oder lieber Diesel für die Fahrt zur nächste Rennveranstaltung kaufen sollte. "Einmal bin ich nach drei Tagen hungern gestartet."

Der Zettel

Speedway verlangt fitte Sportler. Pilotto war fitter als andere, bei 1,72 Metern Körpergröße 67 Kilo schwer. Unverwundbar war er nicht. Zweimal erlitt er Wirbelbrüche, einmal spürte er tagelang seine Beine nicht mehr. Seine letzte Meisterschaft gewann er 1999 mit gebrochenem Schlüsselbein, eine Schulterverletzung wirkt noch heute nach. Pilotto redet nicht gern darüber, "das ist nicht so wichtig". Überhaupt angesichts der Liste von Stars, die er besiegt hat. "Ich habe sie auf einem Zettel aufgeschrieben und abgehakt. Jeden Einzelnen, auch wenn es Jahre gedauert hat. Den Zettel hab ich noch."

Heute träumt der zweifache Vater nur mehr vom "Fahren so zum Spaß. Ich habe eine Fersenoperation, dann nehme ich 15 Kilo ab und setz mich wieder drauf." Die Bahn ist ja nahe. Dass auf ihr noch Leben ist, dankt sie vor allem Pilotto, der bis vor kurzem Obmann des lokalen Klubs war, aber noch als Veranstalter und Rennleiter wirkt. Zum Beispiel für Eisspeedway am 17. Jänner 2015 und einen WM-Lauf am 2. Mai.

Dann wird wieder herrschen, was Pilotto eigentlich immer das Wichtigste an seinem Sport war: "Die Gemeinsamkeit, die familiäre Atmosphäre unter den Fahrern und Fans." Die hatte nur Pause, wenn der Helm aufgesetzt war - und der Tritt des Rosses nur noch einen Augenblick entfernt. (Sigi Lützow, DER STANDARD, 9.12.2014)