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Performance von Theaterstudenten in Sofia während der Demokratieproteste 2013. Sie erzwangen nun den Rücktritt des Rechtsaußenpolitikers und Ex-Nachtklubkönigs Slawi Binew als dem Vorsitzenden des Kulturausschusses im bulgarischen Parlament. Dies gilt als weiterer Erfolg der Zivilgesellschaft im Balkanland im Kampf gegen die Oligarchenwelt.

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Taekwondo-Meister, Ex-Barbesitzer, Bewahrer der orthodoxen Kirche: der bulgarische Rechtsaußenpolitiker Slawi Binew.

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Es waren zwölf Tage im Amt, keine zwei Wochen als Vorsitzender des Parlamentsauschusses für Kultur und Medien, und sie waren wirklich nicht schön für Slawi Binew. Noch schlimmer nur war das Ende am Montagnachmittag. Erst einbestellt bei Tsetska Tsatschewa, Präsidentin des bulgarischen Parlaments und grundsätzlich schon keine Dame, die zu Scherzen aufgelegt ist, und dann ein grausamer politischer Tod, hart und gefühllos wie damals bei Khan Asparuch (641–702; wahrscheinlich) und dessen Schwerter schwingenden Gesellen. „Die Mafia konnte mich nicht umbringen“, sagte ein tief erschütterter Binew in Sofia, „aber heute abend können die Kultur und die Medien Wein aus meinem Schädel trinken.“

Sehr wahrscheinlich werden es doch Gläser sein, randvoll mit – gemeinhin stark unterschätztem – bulgarischem Rotwein, aus denen das Kulturvolk und die Journaille der Hauptstadt sich labt und ihren Sieg über den Krieger Binew feiert, schließlich hat Bulgarien nicht nur das raue Byzanz und Khan Asparuch hinter sich gelassen, die 400 Jahre dauernde Erleuchtung durch die Osmanen und die 40-jährige durch die Kommunisten, und muss also nicht länger aus blutigen Schädeln trinken. Der erzwungene Rücktritt des Politikers Binew markiert aber auch einen weiteren Erfolg der bulgarischen Zivilgesellschaft über ihr politisches Establishment.

Modell Peewski

Wir erinnern uns: Als das bulgarische Parlament am 14. Juni 2013 mit der Mehrheit von Sozialisten und Liberalen und durch die Tolerierung der Rechtsextremen den 33-jährigen Oligarchen/Abgeordneten/Staatsanwalt a. D./Medienzaren Deljan Peewski zum Chef der Behörde für die nationale Sicherheit (DANS) wählte, brach ein Sturm los. Peewski gab noch am folgenden Tag angesichts der Straßenproteste seinen Rücktritt bekannt (und brauchte vier weitere Tage, um dann auch tatsächlich seinen Sessel zu räumen). Die Regierung von Premierminister Plamen Orescharski wurde durch die monatelangen Straßendemonstrationen zermürbt und trat im Sommer dieses Jahres zurück.

Verglichen mit Peewski nimmt sich die Affäre Binew harmlos aus. Schließlich ging es nicht um Staatssicherheit und den Einblick in sensible Dokumente, die zum Beispiel die Zusammenarbeit der bulgarischen Behörden mit der EU und den USA bei der Verbrechensbekämpfung betrafen. Als Chef des Kulturausschusses im Parlament hätte Slawi Binew nur sein Wörtchen mitzureden gehabt bei den halbtot gesparten staatlichen Kunstbetrieben und den von Multiunternehmen nebenbei betriebenen Medien im Land; und der frühere Taekwondo-Meister und Nachtklubbesitzer wäre ein staatlicher Repräsentant für Bulgariens Kulturschaffende und Korporativjournalisten gewesen.

Strohmänner und Drahtzieher

Doch ihre Gegner hielten sowohl Peewski wie Binew für völlig unqualifiziert für die Ämter, in die beide gewählt wurden – und dazu noch: Ihre Wahl selbst schien ein Symbol für die grassierende Intransparenz der bulgarischen Politik und der Geringschätzung der Bürger zu sein. „Koi“ („wer?“) ist seit Peewski in der öffentlichen Diskussion zur Chiffre für die Strohmänner und die Drahtzieher im Balkanland geworden.

Seit einer Woche zogen deshalb bekannte Theater- und Fernsehleute wieder vor das Parlament in Sofia und forderten Binews Kopf. Nicht gerade die Mehrheit der bulgarischen Wähler oder ein repräsentativer Ausschnitt der Gesellschaft, aber das war bei den Peewski-Protesten nicht anders. Man könnte es den wachen, für Demokratiefragen empfindlichen Teil der bulgarischen Gesellschaft nennen.

Slawi Binew nun, Jahrgang 1965, ist eine illustre Figur des bulgarischen Nachwende-Politikbetriebs. Dem derzeitigen Parlament gehört er als Abgeordneter des rechtsnationalistischen Parteienbündnisses Patriotische Front an und wurde, wie Frontführer Waleri Simeonow am Montag beim gemeinsamen Auftritt mit dem gemeuchelten Binew anmerkte, vom Plenum am 27. November auch einstimmig zum Ausschussvorsitzenden gewählt. Die "koi"-Frage wäre also schnell beantwortet: Alle haben mitgemacht, weil alle Parteien Ausschussposten haben wollten. Die Patrioten-Nationalisten unterstützen zudem die Regierung von Premier Boiko Borissow, wobei wiederum gerade Binew einer von zwei Patrioten war, der bei der Vertrauensfrage für die neue Koalition nicht für Borissow stimmte.

Roter Kardinalsmantel

Binew kommt dabei wie Borissow aus der Abteilung Leibesertüchtigung und Personenschutz. In den wilden 1990er-Jahren nach der Wende in Bulgarien gründete auch er eine Sicherheitsfirma – sie hieß Zaschtita –, deren Wirken sich dann, wie damals branchenüblich, auf die vielfältigen wirtschaftlichen Aktivitäten der Nacht erstreckte.

Binew wurde, eigenen Aussagen zufolge, bei einer Gelegenheit auch einmal von einem der Mafiabosse gekidnappt (Krasimir Marinow, besser bekannt als der „alte Marinow“), und steckte diverse Male Hiebe ein. Bis etwa 2006 soll Binews Unternehmensgruppe MIG rund 30 Nachtklubs in Sofia unterhalten haben, darunter auch die Striptease-Bar Abato in der Graf-Ignatieff-Straße im Zentrum, welche sich wiederum – und das wird später von gewisser Bedeutung sein – wegen ihres losen Umgangs mit religiösen Symbolen öffentlicher Kritik ausgesetzt sah: Der DJ im Abato pflegte einen roten Kardinalsmantel zu tragen, und als Attraktion des Establishments galt eine nackte Frau, die auf ein Kreuz gespannt wurde.

2007, als die Nachtgeschäfte längst flau wurden, Steuerinspektoren aber Interesse zeigten, sprach Slawi Binew bei dem Metropoliten der mittelbulgarischen Stadt Stara Zagora vor, der den schönen Namen Galaktikon trägt. Dieser nahm den verlorenen Sohn auf und reiste mit ihm nach Rom zur Kirche der heiligen Santa Maria Maggiore, wo Galaktikon, wiewohl Vertreter der orthodoxen Glaubenswelt, Slawtscho Pentschew Binew in einer schnellen Zeremonie, über welche die bulgarische Presse dann viel Aufheben machen sollte, den althergebrachten Kirchentitel des Archon verlieh.

Man konnte auch lesen, dass dies für ein gewisses Sümmchen passiert sein soll, aber das stellte Slawi Binew in Abrede. Er trat, frisch gesalbt, in die politische Arena ein, zunächst für die rechtsextreme Ataka, deren Europaabgeordneter er war, bis er sich mit der Partei überwarf und dann als frei schwebender Rechtsaußenmann bis zu diesem Frühjahr noch in Straßburg saß. Schließlich fügte es sich so, dass Binew seinen Platz in der für die Neuwahlen in Bulgarien gebildeten "Patriotische Front" aus VMRO (Bulgarische Nationale Bewegung) und NFSB (Nationale Front zur Rettung Bulgariens) fand. "Ich bin der einzige Dissident in Bulgarien", erklärte Binew 2012. Das sahen die Kulturschaffenden im Land anders. (Markus Bernath, derStandard.at, 9.12.2014)