In einem Tonkegel...

Foto: KHM Wien

...wurde neben der Ibismumie ein Leinenbündel mit dem Papyrus entdeckt

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Die Papyrusrolle mit der inneren Leinenumwicklung.

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Die mehr als 3000 Jahre alte Papyrusrolle gibt noch zahlreiche Rätsel zu lösen auf. Nach der Ausrollung muss nun die schwer lesbare hieratische Handschrift entziffert werden.

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Michael Fackelmann und Vanessa Novak bei der Entrollung und Präparation des Papyrus.

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Der Papyrus wurde in einer zweiwöchigen Prozedur ausgerollt, mit Zellulose konserviert und auf einem Saugtisch geglättet.

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An einer Stelle des Papyrus wurde versucht, einen Text auszulöschen, was nur teilweise gelang. Der Bereich wurde vom Schreiber mit einer Linie abgegrenzt.

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Derzeit wird der Papyrus entziffert. Im hell maskierten Bereich steht der Name Thutmose.

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Der Papyrus misst insgesamt 2,5 Meter.

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Wien - Um Erzherzog Ferdinand Max, den Bruder Kaiser Franz Josephs, ranken sich zahlreiche Mythen. Dass er als Kaiser Maximilian I. von Mexiko sein imperiales Überseeabenteuer in den Wirren des mexikanischen Befreiungskrieges gegen die europäische Herrschaft mit dem Leben bezahlte, schuf erst die richtige Basis für Legendenbildungen. So tragisch sein Schicksal auch war, für das Kunsthistorische Museum (KHM) in Wien bedeutet es im Rückblick einen Glücksfall.

Der Erzherzog interessierte sich vor allem für die Seefahrt und Fernreisen, unter anderem führten ihn diese nach Ägypten, wo er 1855 als Kommandant der österreichischen Marine dem Vizekönig Muhammad Said Pascha einen offiziellen Besuch abstattete. Von diesem Staatsbesuch kehrte Maximilian mit einer bedeutenden Sammlung ägyptischer Altertümer in sein Schloss Miramar bei Triest zurück.

Auch der Erwerb der mehr als 700 antiken Objekte ist legendär. Offiziell handelte es sich um ein Geschenk des Vizekönigs an seinen Gast. Maximilian soll beim üblichen diplomatischen Geschenkaustausch auf die angebotenen Gaben verzichtet und Said Pascha gebeten haben, sich aus der Antiquitätensammlung Stücke aussuchen zu dürfen. Erzählt wird, dass der Vizekönig dabei den gesamten Museumsbestand verschenkt habe. Maximilian soll ihn gewissermaßen dazu gezwungen haben, da er die Altertümer übergebührlich bewunderte und sein Gastgeber nach orientalischen Sitten genötigt war, ihm diese zu überlassen.

Von Triest nach Mexiko ...

Welche Teile dieser Geschichte in die Kategorie "Märchen aus Tausendundeiner Nacht" fallen, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Tatsache ist jedenfalls, dass die vizekönigliche Schenkung einen bedeutenden Teil der "Sammlung Miramar" darstellt, die nach dem Tod Maximilians in die Wiener kaiserlichen Kollektionen eingegliedert wurde, damit den Grundstock der ägyptischen Sammlung des KHM bildete - und auch heute noch für Überraschungen sorgt.

Bei einer Inventarrevision im Vorjahr zeigte sich nämlich, dass auch in Museumsbeständen archäologische Funde möglich sind: In einem Tonkegel mit einer Mumie eines Ibisses wurde ein Leinenbündel mit einer beschrifteten Papyrusrolle entdeckt.

Derartige Tiermumien sind in der Spätzeit des ägyptischen Reiches und der Ptolemäerzeit zwischen 700 und 31 v. u. Z. sehr häufig. Die hieratischen Schriftzeichen wiesen jedoch darauf hin, dass die Rolle deutlich älter sein muss, nämlich vom Ende des Neuen Reichs um 1100 v. u. Z. stammt.

Die Entdeckung stellte die Experten des Museums vor technische Probleme: Da ein seit dreitausend Jahren eingerollter Papyrus kein alltäglicher Fund ist, mussten erst optimale Methoden zur Ausrollung entwickelt werden. Zuerst wurde der brüchige Papyrus in einer Feuchtkammer mit 85-prozentiger Luftfeuchtigkeit flexibler gemacht und dann in einer zweiwöchigen Prozedur ausgewickelt, mit Zellulose konserviert und auf einem Saugtisch geglättet. Das Dokument misst nun 2,5 Meter.

Bei der Entrollung des Papyrus wurde mitgefilmt. Mit dem Pinsel wurde Zellulose aufgetragen und der Papyrus mit Saugluft geglättet.
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Schwierig gestaltet sich auch die Entzifferung des auf beiden Seiten beschrifteten Papyrus, da die Handschrift sehr schwer lesbar ist. Die ersten Ergebnisse zeigen, dass es kein religiöser Text ist, wie es bei einer Grabbeigabe erwartet werden könnte. Es handelt sich vermutlich um eine Wirtschaftsurkunde, wie aus vielen Zahlen, Auflistungen und der Nennung verschiedener Güter wie Kupfer, Feldspat und Lapislazuli hervorgeht. Ein Schreiber namens Thutmose wird im Text genannt, der bereits von anderen Papyri aus dem British Museum und dem Ägyptischen Museum von Turin bekannt ist.

Exakt datieren lässt sich das Dokument durch die Nennung einer Jahreszahl: Wiederholt wird das Jahr sechs der "Wehem mesut", der "Wiederholung der Geburten", erwähnt. Diese Formel taucht nur bei sehr wenigen Pharaonen auf, und im Zusammenhang mit einer Jahreszählung ist "Wehem mesut" nur für Ramses XI. belegt. Der letzte der Ramessiden regierte am Ende des Neuen Reiches für rund drei Jahrzehnte. Seine Herrschaft war von Revolten, Grabräuberei und dem Zerfall der zentralen Macht gekennzeichnet.

Proben der Leinenumwicklung der Ibismumie und der zwei Leinenstoffe um den Papyrus wurden im Teilchenbeschleuniger VERA des Instituts für Isotopenforschung und Kernphysik der Universität Wien untersucht. Die Altersdatierung mit der C-14-Methode ergab für die Mumie und die äußere Leinenumwicklung ein Alter von rund 2400 Jahren, während die innere Umwicklung aus dem Neuen Reich stammt und damit dasselbe Alter aufweist wie der Papyrus. Das bedeutet, dass das Dokument tatsächlich dem Ibis als Grabbeigabe hinzugefügt wurde und nicht etwa später zufällig in den Tonkegel gesteckt wurde.

Warum die zu dem Zeitpunkt bereits viele Jahrhunderte alte Schriftrolle mit der Ibismumie bestattet wurde, ist unklar. Vermutlich wurde sie aufgrund ihres Alters als wertvolle Beigabe gesehen.

Der Papyrus hätte übrigens schon früher entdeckt werden können: Bereits im Jahr 2003 hatte die Veterinärmedizinische Universität die Ibismumie mit dem Computertomografen durchleuchtet. Auf den Aufnahmen ist auch die Papyrusrolle deutlich zu sehen, doch die Bedeutung wurde von den Veterinären nicht erkannt.

Auf einem CT-Bild der Mumie war der Papyrus klar erkennbar, wurde aber nicht beachtet.
Foto: VMU Wien

...und zurück

Maximilian hatte für sein Reich große Pläne, unter anderem wollte er ein Nationalmuseum errichten, für das er bereits eine eigene Ägyptensammlung ankaufen ließ. Zum selben Zeitpunkt, als Benito Juárez Maximilian in Querétaro erschießen ließ, lag vor Veracruz schon das Schiff mit den für das neue Museum bestimmten Stücken vor Anker. Nach dem Tod des Kaisers brachte es die Fracht umgehend nach Miramar zurück. Bei einem anderen Lauf der Geschichte wären vielleicht auch die anderen Teile der Sammlung Miramar und damit die Ibismumie in Übersee gelandet. (Michael Vosatka/DER STANDARD, 10.12.2014)