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Auf ein Regelwerk pfiff Meister Lagerfeld auch bei seiner Show auf Schloss Leopoldskron: Er mixte Tracht mit Pop, Uniform und Noblesse. Ganz vorn in Blau sein Supermodel Cara Delevingne.

APA/Barbara Gindl, Chanel

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Einen knappen Monat Zeit hatten die Ateliers von Chanel, die 85 Entwürfe von Karl Lagerfeld für die Métiers-d'art-Show in Salzburg hinzubekommen.

APA/Barbara Gindl, Chanel

Für einen Moment fühlte sich Salzburg draußen im Grünen wie Paris an - sogar für Zaungäste. Ein Dutzend Schülerinnen steckte vor Beginn der Show vor Schloss Leopoldskron die fröstelnden Nasen durch die Pforte. Auf wen die Mädchentraube wartete? Was für eine Frage, allgemeines Kichern - auf Cara natürlich.

Das britische Model Cara Delevingne lässt nicht nur Mädchenherzen höher schlagen. Auch Karl Lagerfeld hält an dem millionenschweren Model fest. Und er überließ ihr während des Chanel-Parcours durch die fünf üppig dekorierten Räume von Leopoldskron das Schlusswort. Den letzten Look der 13. Métiers-d'art-Präsentation führte Delevingne mit frecher Nonchalance vor: Im blendend weißen Volant-Kleid stibitzte sie eine Erdbeere von den brechend vollen Obst-Etageren. Witz siegt oder: So etwas ist genau Lagerfelds Ding.

Denn wer, wenn nicht der 81-jährige Designer, ist ein Meister des Mitnaschens? So fügte sich in Salzburg die Chanel-Botschafterin nahtlos ein in Lagerfelds eigenwilligen Mix aus österreichischem Trachtenkolorit, Popkultur und sorgsam gepflegter Chanel-Historie. Die Rezeptur des Silberzopfs? So ziemlich alles, was ihm in den Sinn kommt, wird zusammengeworfen. Regeln? Sind dazu da, auf Lagerfeld-Art geknackt zu werden.

Für seinen Salzburg-Remix hat der Designer sich einen Happen aus der Kindheit herausgepickt. Lagerfeld trug als Kind in Hamburg angeblich Tracht - aus Gründen der Distinktion, versteht sich (siehe Interview Seite 10). Darüber ergoss das französische Modehaus ein Füllhorn an Bezügen zu Österreich: Da wären Coco Chanels Erinnerungen an die Uniform eines Liftboys im Schloss-Hotel Mittersill, außerdem ihr österreichischer Liebhaber Baron Hubert von Pantz. Nicht zu vergessen Romy Schneiders Chanel-Phase und Inès de la Fressange, die 1987 für eine Kampagne auf Schloss Leopoldskron modelte. Obenauf ein Fetzen Sound of Music und ein Schuss Rosenkavalier. Zu guter Letzt alles gerührt, ordentlich geschüttelt und zu einem gewohnt unorthodoxen Lagerfeld-Produkt verknappt.

Häschen und Haarschnecken

Das will die anspruchsvolle Chanel-Kundin im besten Fall gleich überwerfen. Diesmal stehen die Chancen gar nicht so schlecht. Lagerfeld machte sich einen Spaß, Chanel-Tweed mit knappen Lederhosen-Shorts und Dirndl-Anleihen zu brechen: dazwischen grüner Loden, hoch gerüschte Blusen, verspielte Volants, dicke Wollstrümpfe, Edelweißmotive, applizierte Blüten, Schmetterling- und Häschenstickereien. Und für die Generation Instagram, die sich partout nicht an die auferlegte mehrstündige Bildersperre halten wollte: eine Lederhosentasche und Ohrenschützer, die aus eingedrehten Haarschneckerln bestehen.

Mitverantwortlich für die Ausführung der aufwändigen Outfits: der Federschmuckmacher Lemarié, Kaschmirproduzent Barrie, die Modisterei Maison Michel, die diesmal den Tirolerhut interpretierte, der Schuhmacher Massaro, von jeher bei Chanel für die Schuhe verantwortlich, und natürlich Lesage, spezialisiert auf die glitzernden Stickereien mit Plättchen und Stäbchen. Viel Zeit hatten die Pariser Zulieferbetriebe allerdings nicht, die Skizzen Lagerfelds umzusetzen. 85 Looks, von Anfang November bis Anfang Dezember, das bekommen nur eingespielte Ateliers hin.

Die Idee, neben der Couture eine weitere Spielwiese für die Pariser Spezialbetriebe, die Chanel seit den 1980er-Jahren bis heute aufgekauft hat, zu eröffnen, hatte das Modehaus um die Jahrtausendwende. Bereits 1997 wurden sie zusammengefasst unter dem Label "Paraffection". Der richtige Einfall zum richtigen Zeitpunkt: exklusive Handarbeit, made in Europe - oder noch besser: fabriqué à Paris -, ist heute mehr denn je ein Plus fürs Image.

Bombastischer Wanderzirkus

Die erste Show der Métiers-d'art-Idee ging 2002 in der Rue Cambon 31, seit 1919 verspiegeltes Zentrum des Chanel-Universums, über die Bühne. 2004 setzte das französische Modehaus noch eins drauf. Seither werden die Kollektionen nach den Metropolen benannt, in die sich dann der Chanel-Tross in jedem Dezember wie ein bombastischer Wanderzirkus bewegt. Motto: gestern Dallas, heute Salzburg.

Das Besondere daran: Jede Show eröffnet eine neue Welt, eine unbekannte Facette des Chanel-Universums. Die Location? Mindestens so wichtig wie die Kollektion selbst - ein halbes Jahr nahmen allein die Vorbereitungen für die Show in Salzburg in Anspruch. Das Ambiente in Schloss Leopoldskron: bis zu Kaiserschmarrn und Spritzgebäck durchdacht. Ein Spalier brennender Kerzen im Eingangsbereich, jeder Raum im ersten Stock ein opulentes Stillleben. Die Tische und Etageren über und über mit Äpfeln, Birnen, Granatäpfeln und Süßspeisen beladen, die Sessel und Sofas für die 150 Gäste pro Show aus London, Paris, München eingeflogen.

Eine der wenigen Konstanten: die Protagonisten des Lagerfeld-Universums. Letztes Jahr spazierte Hudson Kroenig, sechsjähriger Patensohn von Lagerfeld, noch mit Cowboyhut und Spielzeugpistole in Dallas durch eine Rodeo-Arena. Diesmal gab er in Lederhose, Hut und Wanderrucksack - ja wen wohl? Den kleinen Lagerfeld vielleicht? Dem Sechsjährigen wird das egal sein. Und Lagerfeld ist schon längst woanders. Im Dezember vergräbt sich Lagerfeld wie immer unter seinen Entwürfen für die nächste Couture-Show. (Anne Feldkamp, Rondo, DER STANDARD, 12.12.2014)