Chrsitophe Dechaux Blanc, Sous-Chef im Gut Purbach serviert Huhn in der Schweinsblase auf Porzellan der Wiener Designerin Hedwig Rotter.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Zu Weihnachten geht es zuerst ums Ein-, noch viel mehr aber ums Auspacken. Es ist nur konsequent, diese Vorgangsweise auch für das abendliche Festmahl beizubehalten. Angesichts der im folgenden Rezept verpackten Ambition muss aber vorweg klar sein, dass die Ausführung der "Poularde en Vessie Marius Vettard", einem mythischen Gericht aus der Hochblüte der Haute Cuisine, den Koch, die Köchin vor erhebliche Herausforderungen stellt. Das Resultat, wenn es denn gelingt, wird die Festtafel dafür nicht bloß optisch, sondern in noch höherem Maße geschmacklich in allerhöchste Verzückung zu versetzen wissen.

Das unter der Haut mit schwarzen Trüffeln, in der Bauchhöhle mit Gansleber gefüllte, mit Cognac sowie Madeira in einer gut gesäuberten Schweinsblase vernähte und hernach in Hühnerfond pochierte Huhn wurde von Fernand Point erfunden. Dieser große Küchenchef aus Vienne, südlich von Lyon, ist heute für seine Antwort auf die Frage nach dem Geheimnis seiner Küche weltberühmt: "Butter! Gebt mir Butter! Mehr Butter! Immerwährend Butter!"

Dass sein hier vorliegendes, wohl berühmtestes Rezept kein Gramm Butter enthält, mag jenen Ignoranten, die daraus eine gültige Kritik der französischen Küche abzuleiten glauben, ein bisserl was zum Kauen geben. Außerdem war der Mann, laut dem ein wirklich gutes Mahl "so harmonisch wie eine Symphonie und so gut gebaut wie eine romanische Kathedrale" zu gestalten sei, der Lehrmeister von Paul Bocuse, Alain Chapel, den Brüdern Troisgros und anderen Säulenheiligen der Kunst des guten Essens. Die Poularde en Vessie hat er zu Ehren eines weiteren Monsters der Hochküche, Marius Vettard, erfunden, der ab 1922 das Café Neuf in Lyon betrieb und maßgeblich zu dessen Ruf als "Welthauptstadt des guten Essens" beigetragen hatte. So viel zu den Referenzen, mit denen dieses Festmahl aufwarten kann.

Überständige Rezeptur

Übelmeinende könnten freilich anmerken, dass Essen dieser Art nun wirklich einen langen Bart habe und derlei überständige Rezepturen den Hautgout einer zum Glück vergangenen Epoche transportierten, da Saucen noch alkoholschwanger zu sein hatten und ein wahrhaft göttliches Mahl ohne Foie gras schlicht nicht vorstellbar schien. Dem ist wenig entgegenzusetzen, außer dass gerade junge Köche die antik anmutende Technik des In-der-Blase-Garens in letzter Zeit vermehrt ausgraben, um sich an ihr zu messen. Peter Fallnbügl vom Heuer am Karlsplatz etwa servierte im Rahmen einer Betonküche-Eskapade in der Schweinsblase gegarte Wachteln.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Rainer Stranzinger vom Tanglberg in Vorchdorf führt in seinem ganz frisch herausgekommenen Kochbuch "Salzkammergut" einen Junghahn in der Schweinsblase mit altem Madeira im Rezeptekanon an. Und Max Stiegl vom Gut Purbach hat dieser Tage Stubenküken nach dem klassischen Fernand-Point-Rezept auf der Speisekarte. Das ist ganz wesentlich seinem Souschef Christophe Dechaux Blanc zu verdanken, der zuvor im legendären Pyramide in Vienne (in dem durch Fernand Point zu Ruhm gekommenen Restaurant) gearbeitet hat und dort unter anderem die Exekution von dessen unverändert auf der Karte stehenden Klassikern zu verantworten hatte. Dechaux Blanc war auch so freundlich, die oben abgebildete Variante zuzubereiten.

Die Behandlung

Damit sollte der Mund wässrig genug gemacht worden sein - höchste Zeit, sich in die Küche zu verfügen! Zuallererst wird die Schweinsblase behandelt, die man mehrere Tage zuvor beim Fleischhauer seines Vertrauens vorbestellen muss. Das unauffällige Teil ist in zugeputzter Form nur zwei Finger breit und etwa zehn Zentimeter lang und muss ausgiebig gewässert werden, um jede Erinnerung an seine ursprüngliche Bestimmung zu verlieren. Eine Nacht an einem gut belüfteten Ort und ein beständiges Rinnsal frischen Wassers, das die Schüssel speist, ist dafür vonnöten.

Dann muss die Blase gedehnt werden. Dafür wird ein Strohhalm in das Ende der Harnleiter eingeführt und ein Bindfaden bereitgehalten. Die Blase mit kräftigem Atem aufblasen, bis sie die gewünschte Größe erreicht hat. Älteren Semestern mag dieser Vorgang durchaus nicht exotisch vorkommen - noch Jahre nach dem Krieg war es auf dem Land dem Vernehmen nach Sitte, mit einer aufgeblasenen Schweinsblase Fußball zu spielen. Für das Rezept aber wird die Blase zugebunden und an einem kühlen, luftigen Ort zum Trocknen aufgehängt.

Weil "österreichische Schweinsblasen" laut Dechaux Blanc aus einem nicht eruierbaren Grund leider "deutlich kleiner ausfallen als französische", passen in Erstere auch keine Bresse-Poularden von 1,7 Kilo - "die platzen sonst jedes Mal". Daraus mag jeder seine eigenen Schlüsse ziehen. Im Gut Purbach wird das Rezept deshalb mit Stubenküken à 400 Gramm realisiert.

Fettleber im Bauch

Davon reicht eines für zwei Personen. Sie bekommen jeweils sechs Scheiben schwarzer Périgord-Trüffel unter die Haut geschoben, in die gesalzene und gepfefferte Bauchhöhle kommt ein großzügiges Stück Foie gras (rund 100 Gramm). Das solcherart vorbereitete Küken wird in die neuerlich gewässerte und damit dehnbar gemachte Blase gelegt - und zwar so, dass sich der Rücken nach Möglichkeit auf Höhe der Öffnung befindet. Großzügig Salz und Pfeffer zugeben sowie je ein Stamperl Madeira und Cognac.

Fest mit Küchengarn abbinden und in gesalzenem Hühnerfond eine knappe Stunde ziehen lassen - es sollte dabei nicht kochen! Diese Art der Zubereitung entspricht im Wesentlichen dem, was bis vor ein paar Jahren unter Adepten einer hochtechnisierten Küche als "Sous-vide-Garen" in Mode war - nur, dass in diesem Fall nicht Plastikfolie die Ummantelung bildet, sondern ein mit Savoir-faire zur Kochmembran transformiertes Organ. Kunst kommt eben von dem, der's kann ...

In der Schweinsblase gegartes Stubenküken mit schwarzer Trüffel und Gansleber: klassische Hochküche für einen großen, heiligen Abend.
Foto: Gerhard Wasserbauer

Das Huhn wird mittels Schaumlöffel vorsichtig auf einen Servierteller gehievt und in der Blase zu Tisch gebracht. Der mitunter größte Moment eines solchen Mahls besteht nämlich in jenem Augenblick, da die pralle Hülle platzen darf und die Aromen, in denen das Huhn zum Mahl wurde, erstmals in die lüsternen Nüstern der Geladenen steigen dürfen. Der Duft, der einem da ins Hirn fährt, hat tatsächlich das Zeug, einen von der göttlichen Natur der Schöpfung zu überzeugen. Und wozu wäre die Weihnachtsnacht ansonsten gut?

Zuvor - nämlich während des Pochierens - wurde bereits die Sauce zubereitet, mit der das Huhn auf dem Teller nappiert wird und die in einer separaten Saucière wartet, ebenso wie das bissfest gegarte Bouillongemüse (Navetten, Karotten, Lauch) und die Salzkartoffeln in ihren Schüsseln. Für die Sauce werden pro Stubenküken 100 ml Hühnerfond und 120 ml Obers zusammen reduziert und mit etwas Trüffeljus und 50 Gramm roher Foie gras in Würfeln vermengt.

Das wird durch ein feines Sieb gedrückt und noch einmal aufgekocht, bis eine nappierende Sauce entsteht. Abschmecken und zu Tisch! Wer Trüffeln über hat (und wer hätte das in solch heiliger Nacht nicht?), der ist herzlich angehalten, diese großzügig und tiefschwarz über die - vorgewärmten! - Teller seiner Liebsten schneien zu lassen. (Severin Corti, Rondo, DER STANDARD, 12.12.2014)