Wenn die Politik in den letzten Wochen, in denen die Wirtschaftsforscher eine Stagnation der Konjunktur festgestellt haben, eines gelernt haben sollte, dann das: Wirtschaftlicher Erfolg geschieht nicht einfach. Wirtschaftlicher Erfolg muss gemacht werden!

Wie lange schon fordert die Öffentlichkeit, fordert die Wirtschaft Reformen ein. Doch weitergebracht wird seit Jahren nichts. Nun bekommt die österreichische Bevölkerung die Rechnung serviert für die Versäumnisse der Regierung: steigende Arbeitslosigkeit, höhere Schulden, eine einknickende Konjunktur und sinkende Reallöhne wegen der Steuer- und Abgabenbelastung.

Kein Wirtschaftswunder

Hat nach den Finanz- und Wirtschaftskrisen 2008 und 2012 tatsächlich irgendjemand geglaubt, dass die Wirtschaft wundersamerweise ohne jegliche Verbesserung der politischen Rahmenbedingungen einen nachhaltigen Aufschwung schafft? Ohne eine Entlastung bei den Lohnnebenkosten? Ohne eine Reduktion der bürokratischen Hemmnisse? Ohne verstärkte Forschungsförderung? Ohne kluge, innovative Investitionspolitik? Ohne Bildungs- und Verwaltungsreform?

An mangelnder Kompetenz und Leistungsbereitschaft der klein- und mittelständischen Betriebe sowie der österreichischen Industrie nämlich mangelt es gewiss nicht. Ebenso wenig freilich an den Beschäftigten. Die Konjunktur, schrieb das Wifo jüngst, befinde sich in einer "trägen Abschwächungsphase". Es mangle an Wachstumsimpulsen. Die Konsumnachfrage leide unter der "ungünstigen Einkommenssituation" der Privathaushalte. Und die Unternehmen würden Investitionsentscheidungen aufgrund der schlechten Wirtschaftsaussichten hinauszögern.

Dazu kommt, dass die Staatsschuld laut EU-Kommission (nicht zuletzt wegen der Hypo-Kosten) von 80,3 auf 87 Prozent des BIP steigen wird. Die Zinslast nimmt also weiter zu, der politische Spielraum wird noch enger. Dazu kommt auch, dass die Beurteilung der Standortfaktoren in Österreich im Vergleich laufend schlechter wird. Niemand also muss überrascht sein, dass die Investitionstätigkeit der österreichischen Industrie nachlässt, stattdessen Unternehmensteile ausgelagert werden und Wertschöpfung verloren geht.

Paradiesische Zustände herrschen auch anderswo nicht. In Deutschland aber werden unter dem Begriff "Industrie 4.0" von der Politik Anstrengungen in Richtung vierter industrieller Revolution unternommen. Dieser vorausblickende Zugang erinnert an die Philosophie des legendären kanadischen Eishockeyspielers Wayne Gretzky: "Gehe nicht dahin, wo der Puck ist. Gehe dahin, wo der Puck sein wird." Andernorts wird diese Weisheit befolgt. Hierorts pfeift der Politik der Puck nur so um die Ohren.

Die Ratlosigkeit der Politik ob der finanz- und wirtschaftspolitischen Situation beobachten derweil kopfschüttelnd die Menschen: Junge, die keinen Job mehr finden. Familien, für die es immer schwieriger wird, über die Runden zu kommen. Ältere, die sich abgeschrieben fühlen.

Der Begriff "Inklusion" macht die Runde - womit jene Eigenschaft gemeint ist, die den westlichen Nationen scheinbar abhandenkommt: die Gesellschaft nicht auseinanderbrechen, nicht kippen zu lassen und damit die Demokratie zu bewahren. Selbst der ökonomischen Elite bereitet die Gefahr Kopfzerbrechen. Der Spiegel widmete dem Thema jüngst eine Coverstory und zitierte unter anderem die Bankerbin Lynn Forester de Rothschild: Die Bürger, stellt sie fest, hätten "das Vertrauen in ihre Regierung verloren". Das ist ein Befund, der nicht nur für die USA gilt. Tatsächlich ist es höchste Zeit für die Politiker, die Köpfe aus dem Sand zu ziehen. Denn zunehmende Arbeitslosigkeit und soziale Schieflage gefährden mittlerweile nicht weniger als unser Werte- und Gesellschaftssystem.

"Geht's der Wirtschaft gut, geht's uns allen gut." So lautet der Slogan der Wirtschaftskammer. Ich denke: Nur wenn's den Menschen gutgeht, geht' s auch der Wirtschaft gut. Und nur wenn's den Menschen gut geht, geht's auch dem Staat gut. Wie aber wird es in den nächsten Monaten weitergehen mit den Menschen? Nun: Nur noch elf Prozent der von der Industriellenvereinigung befragten Unternehmen erwarten einen günstigen Geschäftsverlauf. Aufgrund verhaltener Produktionserwartungen und nachlassender Aufträge werden es die Unternehmen nicht schaffen, ihr Beschäftigungsniveau aufrechtzuerhalten.

Die Politik darf nicht länger zaudern. Nicht erst seit gestern gibt es Einigkeit, dass Arbeit in Österreich zu stark belastet ist. Die Hochbesteuerung wirkt wachstumshemmend und setzt die falschen Anreize für die aktive (und legale) Teilnahme am Wertschöpfungsprozess. Von 100 Prozent, die Unternehmer zahlen, kommen nur 50,9 Prozent beim Arbeitnehmer an. Im OECD-Durchschnitt beträgt die Gesamtlast an Steuern und Abgaben hingegen nur 35,9 Prozent der Arbeitskosten. Die Lohnsteuer muss gesenkt werden.

Kosten runter

Damit Jobs gesichert und geschaffen werden können, muss der Faktor Arbeit aber auch für Unternehmen spürbar entlastet werden. Durch folgende Maßnahmen: Senkung der Beiträge zu Unfallversicherung, Familienlastenausgleichsfonds, Krankenversicherung, Arbeitslosenversicherung, Wohnbauförderung sowie Senkung der Kommunalsteuer. Nur zu sagen "Lohnsteuer runter" greift jedenfalls zu kurz, bringt es doch keine nachhaltige Entlastung und sichert - und das ist entscheidend - keine Arbeitsplätze.

Die Regierung weiß, dass es spät ist. Sehr spät. Allerhöchste Zeit ist es, zu handeln. Um es mit Seneca zu sagen: "Wer will, der kann. Wer nicht will, muss." (Sigi Menz, DER STANDARD, 10.12.2014)