Beate Scheffknecht (24), Legionärin beim deutschen Bundesligisten Göppingen, erzielte bei den jüngsten Siegen gegen Israel, Portugal und die Türkei 22 Treffer, war also Österreichs Topscorerin.

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Wien - Lässt sich Herbert Müller dieser Tage telefonisch im Auto zwischen Varazdin und Györ erwischen, liegt der Schluss nahe, dass der Trainer der österreichischen Handballerinnen in Sachen Europameisterschaft unterwegs ist, die derzeit eben in Kroatien und Ungarn tobt. Natürlich gehört die Beobachtung von Spielen und Spielerinnen zum Aufgabengebiet des gebürtigen Rumänen, zumal Müller ja hauptamtlich als Coach des deutschen Spitzenklubs Thüringer HC wirkt.

Mit den Damen aus Bad Langensalza bei Erfurt holte der 52-Jährige zuletzt viermal en suite den Meistertitel und steht aktuell in der Hauptrunde der Champions League. Die jüngste Freude bereitete ihm aber das Nationalteam mit drei Siegen in der Vorqualifikation für die Ausscheidung zur WM 2015 in Dänemark. Am vergangenen Wochenende wurden in Stockerau reihum die Auswahlen Israels, Portugals und der Türkei geschlagen.

Am 21. Dezember, dem EM-Finaltag, ereilt Österreich und Müller dann das Los für das Quali-Playoff (Hin- und Rückspiel) im Juni. Mit einem übermächtigen Gegner, also übermächtigen Gegnerinnen, ist zu rechnen, "so realistisch muss man sein", sagt Müller. Er kommt, sie kommen jedenfalls aus dem Kreis der EM-Plätze zwei bis zwölf. "Diese Mannschaften spielen zum Teil in einer anderen Dimension, aber wir sind Schritt für Schritt dabei, diese Lücke zu schließen."

Nach Gunnar Prokop

Diese Lücke war in den mittlerweile zehneinhalb Jahren, die Müller Teamchef ist, schon kleiner. Bei seinem Amtsantritt lebte das Nationalteam zum Teil noch vom "System Gunnar Prokop", also von Spielerinnen von Multimeister Hypo Niederösterreich, die ihrer Klasse wegen eingebürgert wurden.

Von 2005 bis 2009 coachte Müller das Nationalteam bei Welt- (drei) oder Europameisterschaften (zwei). Rang zehn bei der WM in China 2009 war das beste Ergebnis und gleichzeitig der vorläufige Abschied vom Großturnier-Parkett.

Im Vorjahr war das Comeback zum Greifen nahe, in der EM-Quali hätte Müllers Mannschaft das entscheidende Spiel gegen die Ukraine mit fünf Toren Unterschied verlieren dürfen, ging allerdings mit minus neun ein. Die Enttäuschung damals war auch für den Trainer "unendlich groß", obwohl sie ihm eine Truppe mit bereits gänzlich anderem Gesicht bereitet hatte.

Exporte

Österreich ist im Damenhandball inzwischen nämlich quasi zu einem Exportland geworden. Den aktuellen Teamkader zieren zehn Legionärinnen, acht spielen in Deutschland. Je eine in der Schweiz und Ungarn.

Da Leistungshandball im Gegensatz zu den Herren, die doch über eine kompetitive Liga verfügen, für Damen in Österreich nahezu inexistent ist - selbst Hypo NÖ entwickelt sich aus finanziellen Gründen und nach Müllers Worten zu einem "normalen Klub" - führt der Weg für Begabte zwangsläufig ins Ausland. Müller hat bei Thüringen in Katrin Engel und Sonja Frey selbst zwei Teamspielerinnen.

Für den Trainer, der seiner Auswahl im Jahr leibhaftig rund 30 bis 50 Tage zur Verfügung steht, ist es stets eine gröbere Umstellung, dem Klubhandball den Rücken zu kehren. "Man kann in der kurzen Zeit mit dem Team nicht so prägend arbeiten", sagt der Vater dreier Kinder. "Mut zur Lücke" sei da das Motto.

Das übrigens unbefristet. Eine Vertragsdauer mit dem österreichischen Handballbund (ÖHB) wurde nicht ausgehandelt. "Ich hätte schon andere Nationalmannschaften übernehmen, um Titel mitspielen können. Aber es sind Freundschaften entstanden", sagt Müller, inzwischen gar nicht mehr weit weg von Györ. (Sigi Lützow, DER STANDARD, 10.09.2014)