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Ralph Giordano war das Gewissen Deutschlands.

Foto: EPA/OLIVER BERG

Köln - In Ralph Giordanos langem Leben spiegeln sich die Wechselfälle deutscher Geschichte in atemberaubender Verdichtung. Als Giordano - Sohn eines Hamburger Vaters mit sizilianischen Wurzeln - begann, das Gymnasium zu besuchen, da stießen ihn die Nazis mit Macht auf die Tatsache zurück, dass er eine jüdische Mutter besaß.

Die Schergen malträtierten den Halbwüchsigen. Das Kriegsende erlebte die Familie in einem Kellerversteck.

Giordanos Erwachsenenleben blieb der ruhelosen Verzeichnung des Unrechts vorbehalten, das der Fernsehjournalist und Buchautor unermüdlich aufspürte und nicht nur mit dem Naziterror identifizierte. Das eigene kommunistische Engagement erklärte er sich 1961 mit Verblendung (Die Partei hat immer recht). Die schonungslose Klarheit im Umgang mit moralischen Tatbeständen glaubte er den anderen abverlangen zu dürfen. Giordanos Hellhörigkeit reichte tief hinab in den Orkus der (deutschen) Geschichte, wobei er sich auch dunklen Kapiteln wie dem Kolonialismus widmete.

Als sein literarisches Opus summum hat der Roman Die Bertinis (1982) zu gelten. Von noch weiter reichendem Einfluss war indes die Streitschrift Die zweite Schuld oder Von der Last Deutscher zu sein, in der er 1987 die Mechanismen der Verdrängung auf überzeugende Weise bloßlegte. Giordano verschmähte es fortan auch nicht, mit Vehemenz in die Tagesdebatten einzugreifen.

Den neuen Rechtsextremismus geißelte Giordano scharf, wobei er die hohe Politik von seinen Philippiken nicht ausnahm. Man könnte ihm posthum leicht Freude am intellektuellen Handgemenge nachsagen. In Wahrheit war Giordano bloß skrupulös. Er starb jetzt 91-jährig in seiner Wahlheimat Köln an den Folgen eines Sturzes.

Ralph Giordano war das Gewissen Deutschlands. (Ronald Pohl, DER STANDARD, 11.12.2014)