Ein Weltmeisterschaftsslalom ohne Österreichs Skistar Marcel Hirscher? Derzeit schwer vorstellbar. Ein olympisches Sprintfinale über 100 Meter ohne den jamaikanischen Weltrekordler Usain Bolt? Eine sportliche Farce. Eine Europameisterschaft im Eisschnelllauf ohne die Niederlande? Schlicht absurd. Die immer wieder aufflackernden Diskussionen über die Wirksamkeit politisch begründeter Boykotte von Sportveranstaltungen hören sich flott auf, wenn die Politik- und Funktionärsebene umgangen wird und die Athleten selbst aktiv werden, also damit drohen, Passivität an den Tag zu legen. Nur sie sind in der Lage, einem Event durch sich selbst den Reiz und damit auch die wirtschaftliche Rentabilität zu nehmen.

Die Eisschnelllauf-EM, die am 10./11. Jänner 2015 in Tscheljabinsk, Russland, steigt, ist kein Heuler – zumal für weniger Eisschnelllauf-affine Nationen. Dennoch reagiert der offizielle russische Sport geradezu hysterisch auf Überlegungen niederländischer Kufenstars, dieser Veranstaltung aus moralischen Gründen fernzubleiben. Schließlich sind im vergangenen Juli beim eher prorussischen Separatisten zugeschriebenen Abschuss des Passagierflugzeugs MH17 über der Ostukraine 192 Niederländer ums Leben gekommen.

Dass Sportler moralische Maßstäbe anlegen, für ihre Überzeugung einstehen, nicht stets auf ihre ums Geschäft besorgten Funktionäre hören und also eventuell auch Nachteile in Kauf zu nehmen gewillt sind, ist sehr begrüßenswert. Es gibt Situationen, in denen der Verweis auf politisches Desinteresse, das Gefühl der Machtlosigkeit oder vorgeschützte Unwissenheit nicht gelten. Je höher der Rang in der sportlichen Hierarchie, desto größer die Verantwortung, umso wirksamer die Aktion. Im Eisschnelllauf gibt es nichts Wirksameres als einen Boykott der Niederländer. 22 der jüngsten 26 EM-Goldmedaillen gingen an Oranje. (Sigi Lützow, DER STANDARD, 11.12.2014)