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Im schlimmsten Fall zieht man sich zu Silvester Hörschäden zu, die einem fürs Leben bleiben.

Foto: dpa/Marc Müller

Alle Jahre wieder warnen Experten vor den Folgen zu lauter Knallerei zu Silvester, alle Jahre wieder nützt alles nichts und die HNO-Ambulanzen sind am 1. Jänner überfüllt. Fast jeder weiß um die Gefahr, doch die nimmt man für Feuerwerk und Kracher offensichtlich gern in Kauf.

Mit dem Kater verschwindet - nach ein paarmal Schlafen - meist auch das dumpfe Gefühl im Ohr. Aber nicht immer. Experten schätzen, dass rund 1.000 Österreicher jährlich schwere Hörschäden beim Böllern erleiden. Der Großteil davon bleibt für immer schwerhörig, denn bereits ein einmaliges kurzes, lautes Geräusch von 120 Dezibel kann irreversible Gehörschäden verursachen.

Feuerwerkskörper, erreichen bis zu 130, in Extremfällen sogar bis zu 150 Dezibel. Die Folgen können Knalltraumen, ein Riss im Trommelfell oder ein Tinnitus sein - lateinisch für "das Klingeln der Ohren", was die Erkrankung treffend beschreibt.

Immer mehr Schwerhörige

"Nur meine Ohren, die sausen und brausen Tag und Nacht fort. Ich kann sagen, ich bringe mein Leben elend zu", klagte schon Ludwig van Beethoven. Mit 30 litt er unter Ohrgeräuschen, mit 50 war er taub. Heute nimmt die Zahl der Schwerhörigen stark zu, sagt Christoph Arnoldner, HNO-Arzt am AKH Wien: "Das ist aber definitiv ein Problem unserer lauten westlichen Welt. In vielen anderen Ländern gibt es das Problem kaum."

Während früher fast ausschließlich Ältere unter Hörproblemen litten, sind es heute immer mehr Jugendliche und junge Erwachsene. Als Ursache sieht Arnoldner neben der unerwünschten Dauerbeschallung im Alltag vor allem die permanente selbstgemachte, in Form von lauter Musik über Kopfhörer, bei Konzerten oder in der Disko.

Bei großer Lärmbelastung kommt es häufig zum Hörsturz, der sich in Form von akutem, meist einseitigem Hörverlust äußert. Doch während ein Hörsturz meist rasch von selbst wieder besser wird, bleibt der Tinnitus im schlimmsten Fall fürs Leben. Fast eine Million Österreicher leiden darunter, davon mindestens 100.000 so stark, dass ihre Lebensqualität beeinträchtigt ist. Sie können Unterhaltungen nicht mehr folgen, leiden an Schlaflosigkeit und entwickeln manchmal auch psychische Begleiterkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen. Die Mehrheit kann sich damit aber arrangieren und schafft es, die Ohrgeräusche weitgehend auszublenden.

Störung mit Schweizerkrachern

Für das Klingeln, Rauschen, Dröhnen oder Pfeifen im Ohr gibt es mehrere mögliche Ursachen, so etwa Verengungen der Blutgefäße, Mittelohr-Tumore oder Kiefergelenksprobleme. In sehr seltenen Fällen (etwa durch Kontraktionen der feinen Muskeln im Ohr) kann das Ohrgeräusch auch von Mitmenschen gehört werden, dann spricht man vom "objektiven Tinnitus".

Deutlich häufiger ist aber der "subjektive Tinnitus", meist verursacht durch ein Knall- oder Lärmtrauma. Diese Form des Ohrgeräusches wird nur vom Betroffenen selbst wahrgenommen. Dabei sind die Ohren äußerst kurz, etwa ein bis drei Millisekunden, enormen Schallpegeln ausgesetzt - wie sie etwa von den beliebten Schweizerkrachern verursacht werden. Stress und emotional belastende Lebenssituationen sind dem Tinnitus zuträglich.

"Die Entstehung von Tinnitus ist bis heute nicht restlos geklärt", sagt Arnoldner. Fest stehe jedenfalls, dass es sich dabei um eine Störung in der Signalverarbeitung im Gehirn handelt, bei der das Ohr bestimmte Frequenzen nicht mehr wahrnehmen kann. Weil das Gehirn dennoch ein Signal erwartet, verstärkt es die betroffenen Tonhöhen extrem, bis man schließlich ein Phantomgeräusch hört - vergleichbar einem Phantomschmerz in Körperteilen, die eigentlich amputiert wurden und deshalb gar nicht mehr weh tun dürften.

Therapie: Viele Ansätze

Bei der Therapie verfolgt man mehrere Ansätze, eine absolut wirksame existiert aber nicht. Beim akuten Tinnitus verschreibt der HNO-Arzt durchblutungsfördernde und entzündungshemmende Medikamente. Einen definitiven Nachweis für deren Wirkung gibt es nicht, weil es oft auch so zu einer Spontanheilung kommen würde. Experten gehen davon aus, dass der Placeboeffekt eine große Rolle spielt. Wichtig sind laut Arnoldner vor allem auch Entspannung und eine Schonung des Gehörs, etwa durch Verzicht von lautem Musikhören.

Beim chronischen Tinnitus hingegen tritt die medikamentöse Behandlung in den Hintergrund - stattdessen greift man zu Therapien, die den Umgang mit den Ohrgeräuschen erleichtern sollen, wenn man sie schon nicht beseitigen kann. Dazu zählen Akupunktur, progressive Muskelentspannung, autogenes Training, auch die sogenannten "Ohrkerzen" - von letzteren raten Ärzte aber ab, weil sie nicht nur unwirksam, sondern aufgrund der Flamme über dem Ohr sogar potenziell gefährlich sind.

Wirksame Musiktherapie

Einen immer größeren Stellenwert nimmt die Neuro-Musiktherapie ein, die mit Gehörtraining und bewusstem Hören zu tatsächlich messbaren Veränderungen bei der Audio-Wahrnehmung im Gehirn führen kann. Dieser relativ neuen Therapieform widmet sich das Deutsche Zentrum für Musiktherapieforschung in Heidelberg. Dort konnte die Musiktherapie in einer Studie mit 42 Patienten die subjektive Belastung von akutem Tinnitus um bis zu 85 Prozent verringern.

"Die Musiktherapie ist vor allem auch beim chronischen Tinnitus sinnvoll, wenn die Rolle des HNO-Mediziners nach und nach in den Hintergrund rückt", sagt Arnoldner. Sie könne Leidensdruck nehmen und helfen, mit dem Klingeln im Ohr Frieden zu schließen. Aber auch progressive Muskelentspannung oder autogenes Training könnten helfen, so der HNO-Experte.

Damit Tinnitus aber gar nicht erst entsteht, empfiehlt er bei Ereignissen mit hoher Lärmbelastung unbedingt Gehörschutz zu tragen und die Lärmquellen so gut wie möglich zu meiden. Wenn der Tinnitus erst mal da ist: Ruhe bewahren und abwarten. Wenn binnen 48 Stunden keine Besserung eingetreten ist, sollte man einen HNO-Arzt aufsuchen. Also erst am 3. Jänner. Am besten aber lässt man es gar nicht so weit kommen. (Florian Bayer, derStandard.at, 31.12.2014)