Managua/Wien - Kurz vor Weihnachten, am 22. Dezember, sollen die Vorarbeiten zu dem gigantischen Bauprojekt starten, das dem Panamakanal Konkurrenz machen soll. Der 278 Kilometer lange Nicaraguakanal zwischen Atlantik und Pazifik soll im nach Haiti zweitärmsten Land Südamerikas für einen Entwicklungsschub sorgen.
Die Bevölkerung hat sich mit dem umstrittenen Projekt noch nicht abgefunden. Naturschützer warnen vor Umweltschäden, und Anwohner fürchten Enteignungen. Nach Angaben örtlicher Medien nahmen am Mittwoch rund 5000 Demonstranten aus dem ganzen Land an Protesten gegen das Projekt in der Hauptstadt Managua teil. Sozialverbänden zufolge wurden viele zugereiste Bauern an der Teilnahme gehindert. Die Demonstranten forderten mit Transparenten den Rückzug der mit dem Bau beauftragten chinesischen Baufirma Hongkong Nicaragua Development (HKND).
Die Wasserstraße soll 2019 fertiggestellt werden und 40 Milliarden Euro kosten. Sie wird von der Flussmündung des Rio Punta Gorda an der Karibikküste durch den Cocibolca-See im Landesinneren bis zur Mündung des Rio Brito auf der Pazifikseite führen. 278 Kilometer lang, also rund 200 Kilometer länger als der Panamakanal, und zwischen 230 und 530 Meter breit soll der Kanal werden. Die Fahrt durch die Wasserstraße wird etwa 30 Stunden dauern. An den beiden Küsten ist jeweils ein Hafen geplant.
Durch Trinkwasserreservoir
In Brito an der Pazifikküste soll eine Freihandelszone entstehen, in Rivas nahe dem Cocibolca-See wird ein Flughafen gebaut. Entlang des Kanals sollen Schnellstraßen entstehen.
Die Streckenführung ist das eigentliche Problem; denn auf 105 Kilometern Länge soll der Kanal durch den Cocibolca-See, das größte Trinkwasserreservoir Mittelamerikas, führen. Naturschützer befürchten, dass das Ökosystem des Sees - mit einer Fläche von 8264 Quadratkilometern etwa 15-mal so groß wie der Bodensee - und anderer Gebiete, wie des Naturreservats Los Guatusos, dramatisch beschädigt werden könnte. Außerdem stehe Dorfgemeinschaften entlang der Kanalroute eine Umsiedlung bevor.
Für die Regierung sind diese Bedenken allerdings zweitrangig. Der Kanal werde so gebaut, dass die Belastungen für Umwelt und Anwohner "auf ein Minimum begrenzt" blieben, ließ sie vergangenen Sommer verlauten.
45 Prozent der sechs Millionen Einwohner Nicaraguas leben unter der Armutsgrenze. Mit Neid blickt die Staatsführung deshalb nach Panama, das mit seinem 100 Jahre alten interozeanischen Kanal etwa eine Milliarde Dollar jährlich einnimmt.
Günstige Voraussetzungen
Die zentralamerikanische Landenge ist in Nicaragua zwar deutlich breiter als in Panama. Der Cocibolca-See gleicht diesen Nachteil aber zumindest teilweise aus. Die günstigen geografischen Voraussetzungen hatten schon im 19. Jahrhundert in den USA das Projekt eines Kanals durch Nicaragua aufkommen lassen, um die lange Schiffsreise um das Kap Hoorn vor der Südspitze Südamerikas abzukürzen - doch die Wahl fiel dann schließlich auf Panama. Den Panamakanal nutzen derzeit rund fünf Prozent des Welthandels. (dpa, cmi, DER STANDARD, 12.12.2014)