Im Wirtshaus wird über Fußball gesprochen oder über die neuesten Schikanen gegen Autofahrer. Es wird auch über Politiker genörgelt, aber richtig in die Tiefe gehen die Gespräche nicht. So weit zumindest das Klischee. Umso überraschender ist, dass sich Bürgermeister Michael Häupl in der Frage des Wiener Wahlrechts genau dieses Klischees bedient. Ihm sind die Änderungen beim Wahlrecht herzlich egal. Das gibt er freimütig zu, obwohl es im Koalitionspakt ein Versprechen gibt, die Reform umzusetzen.

Dass Häupl kein Freund eines minderheitenfreundlicheren Systems ist, liegt auf der Hand, immerhin will er mit der SPÖ am liebsten absolut regieren. Aber dann hätte er mit den Grünen keine Zusammenarbeit eingehen dürfen.

Warum also riskiert Häupl, sein Versprechen nicht umzusetzen? Weil er der Meinung ist, das Thema sei zu kompliziert für die breite Masse. Hier irrt er jedoch. Nur weil etwas kompliziert ist, soll es nicht umgesetzt werden müssen? Soll es auch keinen Finanzausgleich mehr geben, weil man sich damit beschäftigen muss, um zu verstehen, wie er funktioniert? Sollen komplexere Steuermodelle erst gar nicht diskutiert werden?

Und außerdem: So kompliziert ist das mit dem Wahlrecht doch gar nicht. Grüne, ÖVP und FPÖ wollen, dass die Stimmen kleinerer Parteien genauso viel wert sind wie die der großen. Es zeugt von Ignoranz, wenn Häupl das nicht einsehen will. (Rosa Winkler-Hermaden, DER STANDARD, 12.12.2014)