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Die Behörden gingen von einer Einsturzgefahr des Hauses auf der Mariahilfer Straße aus.

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"Aus meiner Erfahrung kommen solche Probleme meist von unerfahrenen Baufirmen, die über diese Haustypen oft nicht Bescheid wissen", sagt der Experte.

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Innerhalb weniger Tage wurden zwei einsturzgefährdete Altbauten in Wien geräumt. Mieter hatten Risse an den Wänden entdeckt. Der Ziviltechniker Peter Bauer erklärt, wie es dazu kommen und warum ein Dachgeschoßausbau stabilisierend für ein altes Haus wirken kann.

STANDARD: Wie genau kann man überhaupt vorhersagen, wie sich Häuser, die lange vor der Entwicklung moderner Normen erbaut wurden, verhalten?

Bauer: Zwar wurde beim Bauen von Gründerzeithäuser nicht viel berechnet - aber sie wurden mit viel Erfahrung gebaut: Laut Schätzungen gibt es 30.000 solcher Häuser in Wien - und die stehen schon seit über hundert Jahren. Zum Vergleich: Die normale Lebenszeit eines Gebäudes wird in den Normen mit 50 Jahren angegeben. Man hat damals sehr klar strukturiert gebaut, daher wissen wir heute sehr gut, wie diese Häuser funktionieren. Und die Gebäude sind noch immer standfest.

STANDARD: Was was das Problem bei den beiden Gebäuden, die geräumt wurden?

Bauer: Aus meiner Erfahrung kommen solche Probleme meist von unerfahrenen Baufirmen, die über diese Haustypen oft nicht Bescheid wissen. Da werden dann bei der Bauführung ein paar Sachen übersehen oder nicht so genau genommen. Im Haus auf der Mariahilfer Straße wurde zum Beispiel, wie ich Medienberichten entnehme, ein klassischer Lehrbuchfehler gemacht: Wenn man bis zum Fundament gräbt und der Regen die Erde unterhalb des Fundaments herauswäscht, dann gibt es nach und versucht, wieder Boden zu finden. Und dann bewegt sich die Mauer mit dem Fundament nach unten. Wenn das zu viel wird, gibt es Risse, im schlimmsten Fall reißt der Teil vom Gebäude ganz ab. Aber diese Häuser werden gemocht, die Leute leben gern darin, weil die Wohnqualität hoch ist. Da sie so klar strukturiert sind und damit auch einfach zu adaptieren, wird– etwas flapsig formuliert - entsprechend daran herumgebastelt. Wenn man sich aber an die Vorschriften und Normen hält und an die Abläufe, die der Gesetzgeber vorgesehen hat – etwa dass Statiker das Gebäude vorab untersuchen und Prüfingenieure das Bauvorhaben begleiten - dann kann so etwas eigentlich nicht passieren.

STANDARD: Ist es Zufall, dass beide Fälle innerhalb kurzer Zeit akut wurden?

Bauer: Das hat auch mit der Witterung zu tun: Wenn man in einer niederschlagsreichen Zeit solche Fehler macht, dann wird man sofort dafür bestraft. Wenn Sie das im Hochsommer in einer trockenen Periode machen, ist das zwar genauso falsch. Aber der Fehler wird wahrscheinlich gar nicht bemerkt, weil die Baugrube wieder zugeschüttet ist, bis der Regen kommt.

STANDARD: Die neue Wiener Bauordnung sieht ein Bauwerksbuch für Eigentümer bei der Neuerrichtung von Gebäuden oder wesentlichen Änderungen vor. Welche Auswirkungen hat das?

Bauer: Die Gebäude werden dadurch besser und nachweisbarer kontrolliert. Durch dieses Bauwerksbuch, das von einem Ziviltechniker erstellt wird, wird das Gebäude laufend dokumentiert. Es ist quasi ein "Pickerl" fürs Gebäude. Jeder Autofahrer weiß, dass er ein Ding fährt, das er am Ende nicht ganz versteht und dass da ein Sachverständiger ab und zu draufschauen muss. Beim Haus ist es letztlich genauso. Die Idee dahinter war, zumindest einmal im Jahr einen Sachverständigen durch das Haus gehen zu lassen, der sich alles anschaut. 95 Prozent der Unfälle kündigen sich nämlich vorher an.

STANDARD: Was können Mieter tun?

Bauer: Mit offenen Augen durch ihr Gebäude gehen. Aufgeweckte Mieter bemerken, wenn da plötzlich etwas ist, was vorher nicht da war. Risse und Durchbiegungen - etwa, wenn eine Decke plötzlich mehr nachgibt als vorher - sind die häufigsten Anzeichen.

STANDARD: Wer mit sehendem Auge durch Wien spaziert, sieht viele Dachgeschoßausbauten. Wie wirken sich diese auf die alten Gebäude aus?

Bauer: Der richtig gemachte Dachausbau verbessert das Gebäude, weil auch die Fundamente im Zuge des Dachausbaus kontrolliert und, wenn notwendig, verstärkt werden. Und dadurch, dass das Haus mit einer modernen Konstruktion oben noch einmal ordentlich zusammengefasst wird, kann auch die Sicherheit im Erdbebenfall wesentlich erhöht werden. Das ist für ein altes Gebäude und seine Bewohner eine wirkliche Win-Win-Situation. (Franziska Zoidl, derStandard.at, 16.12.2014)