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Die Neandertaler waren effiziente Mammutjäger, vermutlich aber bevorzugten sie normalerweise kleinere Beutetiere.

Foto: APA/EPA/OLIVER DIETZE

Neuwied - Dass Neandertaler erfolgreiche Jäger waren, die auch Vertreter der eiszeitlichen Megafauna nicht verschmähten, war bereits bekannt. Nun haben archäozoologische Untersuchungen nachgewiesen, dass Neandertaler zwar in ihrer Jagd auf Mammuts ausgesprochen effizient waren, die großen Säuger aber nur eine untergeordnete Rolle in der Ernährung spielten.

Untersuchungen von Jagdbeuteresten zeigen, dass Neandertaler raubtierartig lebten, erfolgreiche Großwildjäger und ausgemachte Fleischfresser waren. Isotopenanalysen sprachen bisher sogar dafür, dass Mammuts ganz oben auf dem Speiseplan der Neandertaler standen. Sie zu jagen ist keine Kleinigkeit, werden Mammuts doch über 3m hoch und wiegen bis zu 6 Tonnen. Eines passt dabei allerdings nicht ganz ins Bild: Mammutknochen finden sich vergleichsweise selten auf den Fundplätzen dieser Zeit.

Mammutreste auf der Insel Jersey

Die Fragen, welche Rolle Mammut und Wollnashorn tatsächlich in den neandertalerzeitlichen Ernährungsstrategien und Landnutzungssystemen spielten und wie gezielt und häufig Neandertaler den Kampf mit den Riesen aufnahmen, stehen deshalb im Fokus der Forschungen von Geoff Smith vom Archäologischen Forschungszentrum und Museum für menschliche Verhaltensevolution in Neuwied, Rheinland-Pfalz. Dazu hat der Wissenschafter zunächst die Jagdbeutereste des Fundplatzes La Cotte de St. Brelade auf der Insel Jersey in Großbritannien analysiert. Auf dieser Basis evaluierte er die Rolle des Mammuts für die Ernährung in der Zeit vor 300.000 bis 35.000 Jahren europaweit im Kontext der Umweltgeschichte.

Die Fundstelle La Cotte des St. Brelade liegt am äußersten Nordwestrand der Neandertalerzeitlichen Welt. Sie spielt eine Schlüsselrolle zum Verständnis der damaligen Jagd- und Ernährungsweise:"Hier wurden richtige Mammutknochenhaufen ausgegraben, das gibt es so nirgendwo sonst. Früher dachte man deshalb sogar, die Neandertaler hätten hier ganze Mammutherden bei Treibjagden abgeschlachtet", so Smith. Neue topographische Untersuchungen der Fundstelle und Analysen der Knochenreste fanden dafür zwar keine Belege; ganz sicher hat man jedoch über einen langen Zeitraum immer wieder in La Cotte gejagt und die riesigen Beutetiere hier effizient ausgeschlachtet.

Um zunächst die Funktion der Fundstelle La Cotte de St. Brelade und die Überlieferungsgeschichte der Knochen rekonstruieren zu können, hat der Archäozoologe sie akribisch nicht nur nach Tierarten und Körperteilen bestimmt, sondern auch auf Verwitterung, Brandspuren, Raubtierverbiss und Fragmentierungsweise untersucht. Im Gegensatz zu den anderen Fundplätzen dieser Zeit überwiegen in La Cotte Mammute und Wollnashörner unter den Jagdbeuteresten vor kleineren Rindern, Hirschen und Pferden. Smith fand bei seinen Analysen viele Schnitt- und Schlagspuren auf den Mammutknochen. Sie belegen, dass die Tiere hier zerlegt und entfleischt wurden. Man nutzte auch Hirn und Knochenmark und verbrannte viele Knochen anschließend, vielleicht als Holzersatz.

Komplexe Ernährungsstrategien

"Die Jäger in La Cotte waren trotzdem keine spezialisierten Mammutjäger. Die Tierknochen zeigen, dass Neandertaler hier und anderswo ganz opportunistisch vorgegangen sind; ihre Ernährungsstrategien waren viel komplexer, als man lange Zeit dachte. Neandertaler haben verschiedene Tiere im Verlauf der Zeit unterschiedlich intensiv bejagt. Meist waren das mittelgroße Pflanzenfresser wie Wildrinder oder Pferde. Mammuts waren eher so eine Art Nahrungsergänzung, mit der man auf Klima- und Umweltschwankungen reagieren konnte", so Smith.

Seine Studien zeigen auch: es bedarf diachroner, disziplinübergreifender Forschungen, die sowohl den ökologischen und sozialen Kontext, als auch die Überlieferungsgeschichte der Funde einschließen. Erst auf dieser Basis lässt sich unsere Verhaltensentwicklung in der frühen Menschheitsgeschichte entschlüsseln. (red, derStandard.at, 12.12.2014)