Der Tod ist kein Meister aus Deutschland, sondern eine Metal-Legende namens Lemmy Kilmister: Frans Poelstra und Gabriela Hiti erkunden im Brut-Theater die Zeit, die noch bleibt.


Foto: Rania Moslam

Wien - Oben auf der Straße ist es beinkalt, aber drunten im Konzerthauskeller hat das Brut-Theater reichlich Wärme eingebunkert. Die braucht es auch, denn bei No, Nothing, der Uraufführung einer Gemeinschaftsperformance von Theater im Bahnhof (TiB, Graz) und der Wiener Gruppe United Sorry, geht es um die tief temperierten Gelüste des Todes.

Zu Beginn behauptet der Musiker Norbert Wally über sein Keyboard hinweg, dass "Chinakohl die energiefreie Gravitation" brauche. Da hat Gabriela Hiti (beide sind Mitglieder des TiB) bereits zur Bassgitarre gegriffen. Während der folgenden Musiknummer tritt Frans Poelstra auf. Er spielt kurz die Blockflöte an und entledigt sich dann doch lieber seiner Hose. So entblättert tritt er ans Mikrofon, wichtig und ganz Frontman. Blickt an sich hinunter in Richtung seiner tieferen Blöße, zieht sich zurück und ein anderes T-Shirt an.

Jetzt verkündet sein Oberkörper: "Motörhead". Womit auch seine auffällige Barttracht eine Zuordnung erfährt - Poelstra ist als Lemmy Kilmister, Ikone der legendären britischen Band, verkleidet. Aber hinter dieser Fassade verbirgt sich ein anderer. Er wisse schon, dass ihn die Leute nicht mögen, so Poelstra-Kilmister. Er hingegen liebe sie sehr: "Ich brauche den Körperkontakt ..., jeden Menschen will ich berühren, alle schmecken mir gut."

Der unter Poelstras Kilmister-Oberfläche ist also jener, den man in Wien Quiqui heißt: der Gevatter, ohne den es zum Beispiel das Motörhead-Album Kiss of Death von 2006 nicht gäbe. Nun wird deutlich, warum unter der Regie von Robert Steijn (der mit Poelstra United Sorry verkörpert) in No, Nothing eine neue Musikgruppe mit dem Namen "Die Liebe, der Tod und sein Lebensberater" aufspielt. Der Tod hat ja auch eine Popkultur-Identität!

Also erzählt Frans Poelstra, nun wieder ganz Poelstra selbst, der Tod sei ein unversiegbarer Quell der Inspiration für seine Familie. Seine Mutter zum Beispiel habe in ihrer Jugend zu Schuberts "Der Tod und das Mädchen getanzt". Und heute, im Alter von 94 Jahren, entwickle sie im Pensionistenheim mit dem Tod "einen sehr langsamen Tanz". Die Musiknummern der Band gewinnen an Gehalt: Erörtert wird, warum Kin- der am Wochenende allein bleiben können und wie "I give you my skin and you know where I come from" geht. Außerdem ist ein sehr treffender Punkkracher über den Lebensumsturz, den das Kinderhaben mit sich bringen kann, dabei.

Gabriela Hiti erzählt auch ein paar kurze Geschichten. Eine handelt von einer untätigen Heilerin, eine andere vom peinlichen Gift eines letzten Geständnisses. Oder: Sitzt der Tod mit einer Frau im Café. Er bestellt sich einen Espresso, sie möchte lieber einen Verlängerten. Nein, der Tod ist kein Witz. Wirklich nicht. Aber er ist überall dabei. Und daraus wird bei No, Nothing etwas gemacht: eine zutiefst liebevolle, verspielt unheimliche Performance, in der das weite Alter eine Rolle spielt und die Enge der Jugend noch nachdröhnt. (Helmut Ploebst, DER STANDARD, 13.12.2014)