Pawel Pawlikowski wurde für seinen Film "Ida" ausgezeichnet-

Foto: EFA/Riga2014/Mārtiņš Otto

Riga ist die Hauptstadt des Weihnachtsbaums. Bis ins Jahr 1510 lässt sich der erste geschmückte Nadelbaum hier zurückdatieren, ein festliches Erbe, das die Letten entsprechend touristisch zu verwerten wissen. Im Dezember leuchtet es an allen Plätzen und Ecken, aber nicht jeder Stamm ist aus Holz. Immerhin hält das Spektakel ein eklektisches Stadtbild zusammen, in dem sich die wechselvolle Geschichte des baltischen Staats widerspiegelt: Da ein pompöses Gebäude aus der Stalin-Ära, dort ein Jugendstil-Zuckerbäckerbau von Sergej Eisensteins Vater Michail und am Rande Türme der Gegenwart, deren Bau durch die Wirtschaftskrise ins Stocken geriet.

Strahlkraft des künstlerischen Autorenfilms

2014 ist Riga auch europäische Kulturhauptstadt, und der Europäische Filmpreis, der am Samstag in der dortigen Oper verliehen wurde, bietet dafür eine Art feierlichen Abschluss. Für das Kino erfüllt er eine ähnliche Funktion wie der Christbaum für die Stadt: Er versucht ein Schaffen von großer Diversität zu verbinden, mit dem Ziel, die Strahlkraft des künstlerischen Autorenfilms zu steigern.

Am besten ging diese Idee für Pawel Pawlikowskis "Ida" auf, der sich in den wichtigsten Kategorien - bester Film, beste Regie, Kamera und bestes Drehbuch - durchsetzen konnte. Der in London lebende Regisseur hat mit dem bedachtsam komponierten Film über eine junge Frau in den 1960er-Jahren, die Nonne werden möchte, dann aber ihre jüdische Identität entdeckt, seinen ersten Film in seiner Heimat Polen gedreht.

Publikumspreis

Als Pawlikowski sogar noch den Publikumspreis entgegennehmen durfte, war er fassungslos: Es sei surreal, dass sich die Zuschauer für einen langsam erzählten Film in Schwarz-weiß erwärmen konnten, sagte er: "Demokratie ist eine gute Sache!" Mit Ida wird man wohl auch bei der Oscar-Verleihung im Februar noch rechnen können.

Apropos Demokratie: Politische Aussagen blieben in der Veranstaltung weitgehend aus, einzig Moderator Thomas Hermanns bekannte, als Homosexueller froh darüber zu sein, auf dieser Seite der Grenze zu sein. Dies blieb zugleich schon die einzige Spitze des deutschen Entertainers, der sich sonst etwas altmodisch als greller Spaßvogel hervortat.

Anwesenheitsproblem größerer Stars

Wie man Witz mit Understatement verbindet, bewies hingegen der Brite Timothy Spall, der wie schon in Cannes für Mr. Turner als bester Darsteller ausgezeichnet wurde; er spielte überzeugend den Überraschten, er hätte nur "silly shoes" mitgebracht und wäre überdies sehr gerührt, dass man sich für "den verfaulten Londoner Apfel" unter den Früchten dieser Kategorie entschieden habe. Marion Cotillard, für "Zwei Tage, eine Nacht" als beste Darstellerin geehrt, konnte nicht kommen. Das Anwesenheitsproblem von größeren Stars begleitet den Europäischen Filmpreis leider schon länger.

Auszeichnung für "Das finstere Tal"

Da man sich für die Gala aus Zeitgründen auf die Hauptkategorien eingeschränkte, standen die Preise in den technischen Kategorien schon seit einigen Wochen fest. Darunter auch zwei Auszeichnungen für Andreas Prochaskas Bergwestern "Das finstere Tal" für das beste Kostüm und die beste Ausstattung, die von Darsteller Tobias Moretti launig übergeben wurden.

Hubert Sauper, am Papier der Favorit für den Preis des besten Dokumentarfilms ("We Come as Friends"), ging leer aus, weil überraschend Marc Bauder mit "Master of the Universe", einem reduzierten Porträt eines Hochfinanz-Bankers, das Rennen machte - im Übrigen eine Koproduktion mit österreichischer Beteiligung. Mit dem Preis für "The Tribe" als Entdeckung des Jahres haben hingegen viele gerechnet: Der Film des Ukrainers Miroslav Slaboshpytskiy, der eine fatal verlaufende Liebes- und Ausbeutungsgeschichte unter Taubstummen erzählt, ist einer der größten Festivalerfolge dieses Jahres.

Ehrenpreise gingen in diesem Jahr an den britischen Regisseur SteveMc Queen ("12 Years a Slave") und an die Grande Dame der Nouvelle Vague, Agnès Varda. McQueen, dem diese Ehrung als 45-Jährigem früh zuteil wurde, machte es kurz, beschwor künstlerische Verantwortung für Menschlichkeit und widmete seinen Preis Jean Vigo, einem "Liebhaber des Lebens".

"Oh lá lá"

Vardas Auftritt wurde schließlich zum sentimentalen Höhepunkt des Abends. "Oh lá lá", meinte sie zum nicht-enden wollenden Applaus sehr französisch, um schließlich an Gefährten wie Alain Resnais oder Philippe Noiret zu erinnern. Und auch daran, dass immer noch zu wenig Frauen an Veranstaltungen wie dieser gewürdigt werden. Varda zu ihrem Lebenswerk: gutes, loyales Service für das Kino. Besser kann man es nicht sagen. (Dominik Kamalzadeh aus Riga, derStandard.at, 14.12.2014)