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Cheers! Doch der Bierkonsum der Briten geht zurück.

Foto: Reuters/Suzanne Plunkett

London - Die Oxforder Anthropologin Kate Fox hat Jahre lang sich selbst und ihre Landsleute genau beobachtet und darüber das köstliche Buch "Watching the English" verfasst. Es beginnt programmatisch dort, wo sich bis heute große Teile des Soziallebens auf der Insel abspielen. "Ich sitze in einem Pub", schreibt Fox, schließlich könne man die Bedeutung des Wirtshauses in England gar nicht überschätzen. Beispielsweise ist der Pub-Tresen einer der wenigen Orte in einer noch immer eher zugeknöpften Gesellschaft, "wo es akzeptabel ist, einen gänzlich Fremden anzusprechen".

Wenn die These vom Pub als Dreh- und Angelpunkt der englischen Gesellschaft stimmt, ist es um die Insel schlecht bestellt. Binnen zwölf Jahren ist die Gesamtzahl der Pubs in Großbritannien um 20 Prozent zurückgegangen, allein seit 2006 machten rund 10.000 Bierschwemmen dicht. Weder Regierungsprogramme noch ein Votum des Unterhauses scheinen den schleichenden Verfall der geliebten Wirtshäuser aufhalten zu können.

Konzept der "Big Society"

Die konservativ-liberale Koalition schloss Pubs ausdrücklich in das etwas schwammige Konzept der "Big Society" ein, mit dem Premierminister David Cameron einst für mehr Gemeinsinn warb. Besonders auf dem Land sollten neue Regeln dafür sorgen, dass Dorfgemeinschaften oder Clubs ein eigentlich unrentables und deshalb von der Schließung bedrohtes Pub in Eigenregie weiterführen könnten. Mancherorts klappt das sogar recht gut, doch der allgemeine Trend hält an.

Im November rebellierten deshalb Hinterbänkler der Koalitionsfraktionen und brachten im Zusammenwirken mit der Labour-Opposition ihrer eigenen Regierung eine empfindliche Niederlage bei. Mit einem Federstrich schaffte das Unterhaus eine 400 Jahre alte Regelung ab, die von Wirten zunehmend als Knebelung ihres Unternehmergeistes empfunden wurden. Kurz gesagt geht es um ein Gegengeschäft: Zum Ausgleich für vergleichsweise niedrige Miete dürfen in etwa einem Drittel aller Pubs nur solche Biere ausschenken, die der Besitzer ausliefert. Früher handelte es sich dabei meist um Brauereien, heute wird das Geschäft von Pub-Betreiberfirmen (PubCos) dominiert. Sie verlangen für ein Fass Bier, das auf dem freien Markt 84 Pfund kostet, schon mal 150 Pfund und behalten die Margen ein.

Warnung vor Jobverlust

Als das Votum bekannt wurde, brachen die Aktienkurse großer Pub-Betreiberfirmen wie Punch Taverns und Enterprise Inns um bis zu 17 Prozent ein. Die Warnungen vor Tausenden von Jobverlusten verhallten ungehört.

Das sei ohnehin Unsinn, glaubt die Lobbygruppe Camra. Ihre 167.000 Mitglieder setzen sich seit Jahrzehnten für schmackhaftes Bier ("real ale") ein und kämpfen für die Rechte kleiner Brauereien und Wirtschaften. Die Liberalisierung sei höchste Zeit, findet ein Camra-Sprecher, sagt aber wenig Bewegung voraus. "Wenn die Betreiberfirmen die Verbindung zwischen Miete und Bierpreisen attraktiver gestalten, werden viele Wirte bei der bewährten Lösung bleiben und ihnen auch weiter das Bier abnehmen."

Chris Lindesay hat allerdings andere Pläne. "Es ist ja albern, dass man nicht expandieren und den freien Markt nutzen kann", hat der Betreiber des Sun Inn in Dunsfold (Grafschaft Surrey) der "Financial Times" anvertraut. Wie die meisten erfolgreichen Wirte setzt auch Lindesay darauf, seine Trinkbude in ein Restaurant mit gewürzarmen Speisen und gesalzenen Preisen umzuwandeln. Denn außer alten Vorschriften macht vielen Pubs der Zeitgeist zu schaffen. Wie schon früher im benachbarten Irland und den kleineren Regionen des Königreichs wurde 2007 auch in England das Rauchverbot eingeführt. Was damals an Bierumsatz verloren ging, konnten viele Kneipen noch durch ansteigenden Weinkonsum ausgleichen – die besser gelüfteten Schwemmen wurden von mehr Frauen frequentiert als zuvor.

Alkohol aus dem Supermarkt

Weil aber die Finanzkrise viele Durchschnittseinkommen dauerhaft reduziert hat, behelfen sich die Briten mit billigem Alkohol aus dem Supermarkt und trinken einsam zu Hause. Zudem folgen auch die Inselbewohner dem Trend aller entwickelten Industrienationen: Sie konsumieren generell weniger Alkohol. Die Statistiker verzeichnen seit der Jahrhundertwende einen Rückgang um immerhin 18 Prozent, zwischen 2003 und 2011 ging der Bierkonsum sogar um 30 Prozent zurück.

Schließlich, findet Robin Hodgson, gebe es da noch das Problem mit den Muslimen. Wie bitte? Na ja, teilte der frühere Brauereidirektor Anfang des Monats dem Oberhaus mit, "die trinken ja keinen Alkohol". Deshalb müssten in Städten wie Nottingham, Leicester und Birmingham, wo ethnische Minderheiten bereits die Mehrheit stellen, viele Pubs schließen. Das sei aber keinesfalls als Kritik an Muslimen zu verstehen. Da klang der 72-Jährige wie die englische Horrorgestalt schlechthin: der Tresen-Langweiler ("pub bore"), der unschuldigen Wirtshausbesuchern ungefragt das Ohr abkaut. Über diesen Menschentypus (meist männlich) steht ein amüsantes Buch von Kate Fox noch aus. (Sebastian Borger, DER STANDARD, 15.12.2014)