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Sachte Bewegungen, die aus dem Spiel erwachsen, wenn Grigorij Sokolov ein Klavier-Recital gibt.

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Wien - Wenig Licht - das ist die Grundbedingung, wenn Grigorij Sokolov eines seiner Klavier-Recitals gibt. Einzig auf ihn darf der helle Schein fallen, auf seine sparsamen Gesten. Wobei Gesten schon fast zu viel gesagt ist, handelt es sich doch um kaum mehr als sachte Bewegungen, die aus dem Spiel erwachsen. Unter anderem deswegen hört man seiner verhaltenen Kunst gebannt zu.

Sokolov ist alles andere als ein Blender und - trotz der magischen Komponente seiner Performanz und all seiner Versenkung - auch weit weg von priesterlicher Gebärde. Unprätentiöse Zurückhaltung und soghafte Intensität durchdringen sich bei ihm auf immer wieder andere Weise. Sein Bach - im Wiener Konzerthaus die Partita Nr. 1 in B-Dur - ist schwerelos und klar. Und das Problem des anachronistischen Klavierklangs scheint sich bei ihm im Gegensatz zu so vielen seiner Kollegen gar nicht zu stellen, weil er ihn weder versteckt, noch zelebriert, weil er weder didaktisch analysiert, noch betulich tänzelt. Er lässt es fließen: beglückende Selbstverständlichkeit mit manch kostbaren Momenten.

Unprätentiös und glasklar

Grundsätzlich anders spielte Sokolov den folgenden Beethoven nicht, doch ereignete sich bei dessen D-Dur-Sonate op. 10/3 gänzlich anderes. Denn das Unprätentiöse ließ zwar die Formen glasklar zutage treten. Über die überraschenden harmonischen Wendungen und motivischen Entwicklungen huschte der Meister dann aber doch etwas hinweg.

Bestechend und wie aus einem Guss schließlich Chopins h-Moll-Sonate - auch ohne vordergründige Leidenschaftsausbrüche ein Musterbeispiel für die Farbenspiele des Pianisten: Schrille Akzente und harsche Kontraste umging Sokolov auch hier zugunsten homogener Klangbilder, in sich vielfältig schimmernd und mit straffen Tempi entfaltet.

Vielleicht erklärt dieses Zusammenspiel flächiger Gestaltung und stringenten Timings den Eindruck, dass sich die Zeit während Sokolovs Spiel zusammendrängt. Und womöglich hat das auch mit seiner Affinität zu Schubert zu tun, von dem er am Beginn des großzügigen Zugaben-Reigens gleich drei lange Stücke (Impromptus D 899/2 und 4, Klavierstück D 946/2) spielte: mit Schroffheiten, die er sich anderswo versagte, und mit fragiler Kantabilität.

Dass Sokolov, ebenso wie der Komponist Beat Furrer, soeben zum Ehrenmitglied der Wiener Konzerthausgesellschaft ernannt wurde, wie Konzerthaus-Intendant Matthias Naske vor Beginn des Abends bekanntgab, hatte schon da freundliche Begeisterung ausgelöst. Eine knappe Stunde nach dem prognostizierten Konzertende war der Jubel vollkommen. (Daniel Ender, DER STANDARD, 15.12.2014)