Wien - Die Uraufführung von Peter Turrinis Rozznjogd muss damals, 1971, einem Kometeneinschlag geglichen haben. Zwei Stiefkinder der Wohlstandsgesellschaft begegnen einander auf einer von Ratten bewohnten Müllhalde: so weit, so romantisch. "Er" und "Sie" fühlen sich einigermaßen unbehaglich. Die beiden Vereinsamten verspüren am eigenen Leib das, was man früher, in marxistisch wohlinformierten Kreisen, einen "Verblendungszusammenhang" nannte.

Turrinis Figuren wollen den Schein vom Sein trennen. Im Schwarzen Salon des Wiener Volkstheaters haben sie sich rechtzeitig zu Turrrnis 70-Jahr-Feiern frisch gekräftigt und noch einmal verjüngt. "Er" (Jan Hutter) würde in seiner anachronistischen Lederjacke überall Eindruck schinden. Leider spricht der empörte blonde Jüngling nicht sehr glaubwürdig Dialekt.

Fiebrige Unruhe

"Sie" (Daniela Golpashin) verströmt unter ihrer Perücke, mit ihrem rührenden Lackledertäschchen eine fiebrige Unruhe. Aus dem Rendezvous entsteht ein revolutionärer Akt. Entschlossen wirft das junge Paar alle Konsumgüter von sich. Es betritt reinen Herzens und mit entblößten Körpern einen wunderbaren neuen Garten Eden. (In Wirklichkeit werden die Armen bloß totgeschossen.) Es muss eine herrliche Zeit gewesen sein, als man noch vom "Menschen an sich" träumen durfte, ohne dabei rot zu werden.

Philipp Ehmanns Regie winkt das Paar tadellos durch Turrinis wilde Ballade hindurch. Die heimliche Hauptfigur dieser sehenswerten Aufführung hat jedoch Ausstatterin Tamara Raunjak beigesteuert. Die bleigraue Bühne ist zur Gänze in Noppenfolie eingeschlagen. Jeder Tritt erzeugt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein keckes "Puff". Turrinis Stück wird noch dann als Anschauungsmaterial für den historischen Protest dienen können, wenn die letzte Noppe zerplatzt ist. (Ronald Pohl, DER STANDARD, 15.12.2014)