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Solidarität mit festgenommenen Journalisten: Türkinnen halten vor dem Istanbuler Justizpalast Gülen-Zeitungen hoch.

Foto: AP Photo/Emrah Gurel

Ankara/Athen – Dieses Mal ist nicht lang gefackelt worden. EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn und die Außenpolitikbeauftragte Federica Mogherini mahnten nur Stunden nach Beginn der neuerlichen Verhaftungswelle in der Türkei am Sonntag zur Einhaltung von Pressefreiheit und "vollen Respekt für die Rechtsstaatlichkeit" – und der türkische Staatschef Tayyip Erdogan hat gleich zurückgefeuert: "Die EU hat uns keine Lehren zu erteilen. Kümmert euch gefälligst um eure Angelegenheiten", sagte Erdogan am Montag in einer Rede in Kocaeli, östlich von Istanbul, anlässlich der Eröffnung einer Raffinerie.

"Ich frage mich, ob diejenigen, die dieses Land seit 50 Jahren vor der Tür Europas halten, kapieren, um welche Maßnahmen es sich hier handelt", fuhr Erdogan fort und verteidigte die Festnahmen von Redakteuren und Fernsehleuten als Antwort auf die "Bedrohung unserer nationalen Sicherheit".

Die Welle der Kritik aus Europa und den USA ebbt derweil nicht ab. Offensichtlich gehörten Medien, die sich kritisch über die derzeitige türkische Regierung äußerten, zu den Zielobjekten der türkischen Sicherheitskräfte, stellte die Sprecherin des US-Außenministeriums, Jen Psaki, fest. Österreichs Außenminister Sebastian Kurz nannte die Verhaftungen einen "unfassbaren Angriff auf die Meinungs- und Medienfreiheit in der Türkei".

31 Festnahmen

Die türkische Polizei nahm am Sonntag insgesamt 31 Personen fest, darunter den Chefredakteur der Tageszeitung "Zaman", Ekrem Dumanli; dessen Bruder, ein hoher Polizeibeamter, war bereits bei einer anderen Serie von Verhaftungen vergangenen September festgenommen worden – der Vorwurf lautete auf Zahlung ungerechtfertigter Boni an Untergebene.

"Die Fußnotensetzer"

Der Journalist Dumanli und der Direktor des TV-Senders Saman yolu, Hidayet Karaca, werden nun beschuldigt, Teil einer Verschwörung gegen die Regierung zu sein, die von dem in den USA lebenden türkischen Prediger Fethullah Gülen organisiert würde. Vier Produzenten von Fernsehserien, die Erdogan missfallen, wurden mittlerweile wieder auf freien Fuß gesetzt. Die Ermittler hätten sie über Gülen befragt und Anweisungen, die er für die Serien gegeben hätte, sowie über Verbindungen zu einer islamistischen Terrorgruppe mit dem Namen Tahsiyeciler.

Mit dem Begriff, der so viel wie "Fußnotensetzer" bedeutet", können nur die wenigsten Türken etwas anfangen. Dabei handelt es sich um eine angeblich dem Terrornetzwerk Al-Kaida nahestehende Gruppe, die 2010 von der türkischen Polizei zerschlagen wurde. Sie scheint nun der offizielle Anlass für die Verhaftungen zu sein, die sich nach Angaben eines Maulwurfs in der türkischen Regierung noch bis 25._Dezember hinziehen sollen.

Die liberale Tageszeitung "Taraf", die wie "Zaman" der Bewegung Gülens zugerechnet wird, hatte am Montag eine dramatische Schlagzeile auf ihrer Titelseite: "So hat Hitler begonnen". Sie griff damit auch ähnliche Worte der größten Oppositionspartei auf, der sozialdemokratisch-nationalen CHP. Ihr Vorsitzender Kemal Kilicdaroglu sprach von einem Putsch, der nun im Land stattfinde. Beim EU-Gipfel diese Woche war geplant, die Öffnung neuer Verhandlungskapitel für die Türkei anzukündigen. Die Lira gab am Montag deutlich nach und lag bei 2,88 für einen Euro nach 2,79 am vergangenen Freitag. (Markus Bernath, DER STANDARD, 16.12.2014)