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Ein Mann verlässt einen Geldwechsel-Shop in Moskau. Verfällt der Wert einer Währung, besteht die Gefahr einer Spirale: Mehr Menschen wollen ihr Geld umtauschen und lassen den Wert der Währung weiter sinken.

Foto: ap/sekretarev

Wien – Nachdem die russische Währung gestern, Montag, mehr als zehn Prozent an Wert verloren hat, hat die Zentralbank über Nacht die Leitzinsen drastisch erhöht. Das hat die Investoren zunächst beruhigt, nun befindet sich der Rubel aber schon wieder im freien Fall. Dienstag, Stand 12 Uhr, war er auf einem Rekordtief. Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Lage der russischen Währung.

Frage: Wieso ist der Rubel gestern eingebrochen?

Antwort: Der Ölpreis ist am Montag unter 60 Dollar pro Barrel gefallen, mit Tendenz nach unten. In einem Wechselkurs stecken vereinfacht gesagt Erwartungen von Investoren und Unternehmen: Je mehr Geld man künftig in einem Land machen kann, desto stärker bzw. teurer ist eine Währung. Weil Öl derzeit viel weniger wert ist, verlieren russische Unternehmen, die im Vergleich zu anderen Ländern viel stärker von Öl abhängig sind, massiv an Profiten. Gleichzeitig wird in den USA über weitere Sanktionen gegen Russland diskutiert. Und: Die russische Zentralbank hat gestern einen trüben Ausblick veröffentlicht. Bleibt der Ölpreis auf dem jetzigen Niveau, erwartet sie für das nächste Jahr einen Einbruch der Wirtschaft. Das Bruttoinlandsprodukt soll dann um 4,5 Prozent fallen. All das lässt die Aussichten eintrüben und den Rubel fallen.

Frage: Wie hat die russische Zentralbank reagiert?

Antwort: Sie hat in einer Art Panikreaktion über Nacht die Leitzinsen von 10,5 Prozent auf 17 Prozent angehoben. Das soll Investoren in Russland halten, weil sie mit ihrem Geld mehr verdienen können, und so den Wechselkurs stabilisieren. "Das war ein Schritt in die richtige Richtung", sagt der Chefökonom der Bank of America Merrill Lynch in Moskau, Vladimir Osakovskiy, im Gespräch mit derStandard.at. Der Ökonom meint aber, dass das noch nicht genug gewesen sei. Ein weiteres Anheben der Leitzinsen werde nötig sein. Die Notenbank hat Banken außerdem mehr Dollar zur Verfügung gestellt, was eine Marktpanik verhindern soll.

Investoren schienen am Dienstag zunächst davon überzeugt, dass die Zentralbank das Ruder herumgerissen habe. Der Rubel machte die Verluste vom Montag wieder wett. Für einen Dollar erhielt man statt 64 nur mehr 59 Rubel. Am Laufe des Vormittags brach er aber wieder ein. Mit Stand 12 Uhr war ein Rubel noch deutlich weniger wert als gestern, die Währung ist also weiter eingebrochen.

Frage: Was hat das für Auswirkungen auf die russische Wirtschaft?

Antwort: Die Aussichten sind düster. Die russische Wirtschaft leidet schon stark unter dem niedrigen Ölpreis und der unsicheren politischen Lage. Die jetzt angehobenen Leitzinsen könnten die russische Volkswirtschaft endgültig in die Knie zwingen. So stärken die hohen Zinsen zwar den Wechselkurs, machen Kredite für Unternehmen aber deutlich teurer. Stark schwankende Wechselkurse sind darüber hinaus Gift für Unternehmen, die so kaum für die Zukunft planen können. Für russische Unternehmen, die kein Öl verkaufen, ist der schwächere Rubel ein Vorteil. In Österreich kann man russische Produkte jetzt deutlich günstiger kaufen. Eine Maschine, die vor einem Jahr umgerechnet noch 100.000 Euro kostete, bekommt man jetzt schon für etwa 55.000 Euro. Stellt man das der hohen Verunsicherung der Unternehmer, den massiven Kapitalabflüssen, dem niedrigen Ölpreis und den nun höheren Zinsen gegenüber, überwiegen aber deutlich die negativen Effekte. Auch die Inflation steigt: Im September lag sie bei acht Prozent, im November bei neun Prozent, und sie soll laut Zentralbank bis zum Ende des Jahres auf zehn Prozent steigen.

Frage: Steckt Russland nach 1998 in der nächsten Währungskrise?

Antwort: Die Ausgangslage ist eine ganz andere als damals. Zwischen 1996 und 1998 hat sich ähnlich wie jetzt der Ölpreis halbiert. Der Rubel wurde daraufhin von Spekulanten attackiert, die Zentralbank verfolgte ein festes Wechselkursziel. Weil ihr die Reserven ausgingen – um den Rubel zu stabilisieren, muss die Zentralbank zum Beispiel Dollar ver- und Rubel ankaufen –, musste sie den Wechselkurs freigeben. Die Zentralbank hob die Zinsen auf über 100 Prozent an, das Land wurde in eine Wirtschaftskrise gerissen, das BIP brach um fünf Prozent ein, Russland stoppte die Rückzahlung seiner inländischen Staatsschulden und musste vom IWF aufgefangen werden.

Frage: Was ist jetzt anders?

Antwort: Die russische Zentralbank verfügt über deutlich größere Reserven (ausländische Währungen und Gold). Sie sind im vergangenen Jahr zwar schon um 100 Mrd. Dollar geschrumpft, es sind aber immer noch etwa 400 Mrd. Dollar da. Die Zentralbank versuchte zuletzt wieder, einen festen Wechselkurs zu halten, gab aber frühzeitig auf. Außerdem hat Russland anders als damals ein dickes Leistungsbilanzplus. Es wird also deutlich mehr ins Ausland verkauft, als von dort importiert. Das schafft Unabhängigkeit und ist jetzt eine viel bessere Ausgangsposition, um mit den Kapitalabflüssen umzugehen. Dass Leistungsbilanzen wichtig für die Stabilität sind, zeigte die Eurokrise. Länder wie Spanien oder Griechenland waren massiv vom Ausland abhängig. Als die ausländischen Geldgeber (etwa deutsche und österreichische) ihr Kapital abzogen, rutschten die Länder in eine tiefe Wirtschaftskrise.

Frage: Was ist für die nächsten Monate zu erwarten?

Antwort: Das Schicksal Russlands hängt stark vom Ölpreis ab. Solange der Preis wie derzeit täglich um zwei bis drei Prozent pro Tag sinke, werde sich auch der Rubel nicht stabilisieren, sagt Osakovskiy von der Bank of America. "Das geht jetzt schon nahezu einen Monat lang so." Noch prognostiziert sein Kreditinstitut für das nächste Jahr nur eine leichte Rezession, die Wirtschaft soll um 1,5 Prozent schrumpfen. "Da sind wir auf der konservativen Seite. Nach den letzten Entwicklungen könnte das aber eine sehr optimistische Prognose sein", sagt er. Ob Russland schon in einer sich immer weiter vertiefenden Spirale von fallendem Rubel, höheren Zinsen und einer einbrechenden Wirtschaft steckt, lässt sich noch nicht sagen. Es hängt wie so vieles in der Ökonomie von Erwartungen ab, die sich gegenseitig beeinflussen und hochschaukeln. Bekanntlich sind Prognosen ja vor allem dann schwierig, wenn sie die Zukunft betreffen.

Reaktionen anderer Medien und Analysten:

  • Washington Post: "Putin konnte sich eine Invasion Georgiens und der Ukraine leisten, als die Ölpreise dreistellig waren. Wenn sie nur halb so hoch sind, kann sich Russland gar nichts leisten."
  • New York Times: "Russische Bürger sind mit einer ungemütlichen Kombination einer Rezession und einer hohen Inflation konfrontiert. Eines ist sicher: Es wird ein langer, kalter Winter."
  • Fondsmanager Ian Hague zu Bloomberg: "Man gibt Wirtschaftswachstum für das Erhalten des Finanzsystems auf."
  • James Mackintosh, Journalist bei der Financial Times: "Sotschi schaut jetzt aus wie ein netter Ort für einen Skiurlaub. 50 Pfund für ein 5-Sterne-Hotel und der Skipass wird in Rubel verrechnet (=gratis)."

(Andreas Sator, derStandard.at, 16.12.2014)