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Der Angeklagte im Wiener Straflandesgericht: Ihm wird nicht nur der Prozess wegen Raubes gemacht, in fünf Fällen wird dem 21-Jährigen auch Mordversuch vorgeworfen.

Foto: APA/HERBERT PFARRHOFER

Wien - Unter regem Publikumsinteresse ist Dienstagfrüh der Prozess gegen einen Mann eröffnet worden, der im Frühjahr nach einer brutalen Raubserie in Wien-Favoriten gefasst worden war. Der 21-Jährige musste sich neben schweren Raubes auch wegen fünffachen Mordversuchs verantworten, weil er seine Opfer teilweise mit einer Eisenstange niederschlug.

Im Falle einer Verurteilung im Sinne der Anklage droht dem Beschuldigten zehn bis 20 Jahre Haft oder lebenslänglich. Marius C. bekannte sich zu den ihm angelasteten Raubdelikten schuldig, die fünf Mordversuche bestreitet er, wie seine Anwältin Irene Pfeifer dem Schwurgericht (Vorsitz: Sonja Weis) darlegte.

Acht Mal soll der Mann im März und April zugeschlagen haben. In fünf Fällen attackierte er seine Opfer mit einer Eisenstange, die zumeist jungen Frauen erlitten massive und teils lebensgefährliche Gesichts- und Kopfverletzungen. Laut Staatsanwalt muss er es in diesen fünf Fällen "ernstlich für möglich gehalten und sich damit abgefunden haben, dass er die Opfer durch die von ihm verübte Gewaltanwendung tötet".

Opfer lebt mit schweren Dauerfolgen

Ein Opfer gab in ihrer Vernehmung an, sie habe geglaubt, der Täter würde nicht von ihr ablassen, bis sie tot sei. Eine von dem Räuber attackierte junge Frau, eine Mitarbeiterin des ÖVP-Politikers Othmar Karas, überlebte die Attacke nur knapp und lebt seitdem mit schweren Dauerfolgen. Eine weitere Frau (24) wird ihr Sehvermögen am linken Auge nicht wieder erlangen. Das jüngsts Opfer war erst 13 Jahre alt. Die Schülerin war abends am Nachhauseweg von einer Freundin, nachdem die beiden eine Ostermesse in einer Favoritner Kirche besucht hatten.

Ein Raubopfer konnte bis heute nicht ausgeforscht werden. Marius C. beschrieb die Frau als etwa 20-Jährig, groß und blond. Sie dürfte das erste Opfer des Rumänen gewesen und Mitte März überfallen worden sein.

Seine Tatwaffe, eine 50 Zentimeter lange Eisenstange, war als Steher für einen Zaun einer Grünfläche in Favoriten gedacht, wo sie C. abmontiert hatte. Der 21-Jährige stellte seine Waffe immer wieder an den ursprünglichen Platz zurück, um sie dort sicher zu verstecken. Erbeutet hatte der Mann meist nur geringe Geldbeträge, Handys oder Bankkarten sowie Ausweise.

Urteil am Freitag erwartet

Marius C. kam am 9. März mit Verwandten nach Wien, um am sogenannten Arbeiterstrich auf der Triester Straße Geld zu verdienen. Eigentlich hatte er vor, im Mai wieder in seine Heimat zurückzukehren, doch nur eine Woche nach seiner Ankunft soll er den ersten Überfall begangen haben. Ob dies aus Geldgründen geschah, muss nun das Gericht klären, mit seiner Schwarzarbeit hatte er immerhin rund 2.000 Euro verdient und auch von den Eltern finanzielle Zuwendungen erhalten. Jedoch bereits zwei Jahre zuvor hatte er in Rumänien eine junge Frau überfallen und sie die Stiegen hinuntergestürzt. Dafür saß er ein knappes Jahr im Gefängnis.

"Ich wollte die Frauen nicht verletzen", sagte der Angeklagte bei seiner Aussage vor dem Schwurgericht. Nur in drei Fällen gab er zu, die Eisenstange als Waffe verwendet haben. Ansonsten habe er mit seinen Fäusten auf die Opfer eingeschlagen. Das klingt für das Gericht insofern unglaubwürdig, weil die Frauen zum Teil lebensgefährliche Verletzungen erlitten haben. Deshalb wird im Zuge des Prozesses Gerichtsmedizinerin Elisabeth Friedrich zu Wort kommen. Sachverständiger Sigrun Roßmanith wird zur Dispositions- und Diskretionsfähigkeit des Angeklagten Stellung nehmen.

"Blitzattacken mit hoher Aggressivität"

Die Staatsanwaltschaft forderte im Eröffnungsplädoyer eine Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher. Bei den Taten habe es sich um "Blitzattacken mit hoher Aggressivität gehandelt", sagte der Staatsanwalt. Laut Gutachten sei die Gefährlichkeitsprognose als "sehr ungünstig" anzusehen.

Sein zweites Opfer, eine 24-Jährige, die in der Nacht auf den 23. März den Nachtbus verpasst hatte und zu Fuß nach Hause gegangen war, erlitt multiple Brüche. Der Täter fügte ihr Brüche beider Unterkieferseiten, der linken Augenhöhle, einen Riss im linken Augapfels, einen Bruch der Nase, eine Gehirnerschütterung, eine Rissquetschwunde an der linken Wange und am linken Ohr sowie die Läsion mehrerer Zähne zu, wie Richterin Sonja Weis aus dem Akt vorlas. Die Frau, die Dienstagnachmittag vor Gericht als Zeugin aussagen soll, dürfte ihr Augenlicht verlieren.

C. will in diesem Fall nur mit der Hand zugeschlagen haben. "Wie erklären Sie sich, dass bei ein bis zwei Faustschlägen ein solches Verletzungsbild entsteht", fragte die Richterin. "Ich wollte die Frau nicht umbringen", sagte der 21-Jährige. "Glauben Sie, hätte es nicht gereicht, nur Gewalt anzudrohen", fragte Weis. "Ich hatte Angst, dass die Frau schreit, mir nachläuft und die Polizei geholt wird", erklärte der Angeklagte. "Das heißt, Sie wollten die Frauen zum Schweigen bringen? Wo ist da die Grenze?", fragte der beisitzende Richter Norbert Gerstberger. Denn dass so viele Knochen gebrochen werden und das Auge zerreiße, könne nicht "durch Hinfallen" passiert sein, meinte Richterin Weis.

Drei schnelle Schritte

Die Frau wird auf ihrem linken Auge nie wieder sehen können. Mehrere Operationen an Kiefer, Zähnen und Auge hat die Architekturstudentin über sich ergehen lassen müssen. Wochenlang konnte sie aufgrund des Kieferbruchs nur breiige Kost zu sich nehmen, wie sie Dienstagnachmittag vor Gericht aussagte.

Nach einer Augenoperation musste sie eine Woche lang mit dem Gesicht nach unten schlafen. "Ich hatte Kopfweh und starke Schmerzen", sagte die Frau. Jeden Morgen war ihr Gesicht stark angeschwollen. "Es war anfangs keine leichte Zeit", so die Zeugin mit gebrochener Stimme. Zunächst war nicht klar, ob sie ihr eigenes Auge behalten oder ob sie ein Glasauge bekommen würde. "Das hat mich sehr belastet." Durch die Operationen konnte das Auge, jedoch nicht das Augenlicht gerettet werden.

Am 23. März hatte sie den Nachtautobus versäumt und war zu Fuß in Wien-Favoriten unterwegs. Bei der "Spinnerin am Kreuz", einer gotischen Säule im 10. Gemeindebezirk, hörte sie plötzlich drei schnelle Schritte. "Ich erinnere mich nur noch, dass das Ganze sehr wild war." Laut Anklageschrift schlug ihr Marius C. "mehrmals mit voller Wucht mit der Eisenstange gegen die linke Gesichtshälfte". Die 24-Jährige wurde daraufhin ohnmächtig. Als sie wieder erwachte, waren ihre Brille und der Inhalt ihrer Tasche verschwunden. Erst da realisierte die Studentin, dass sie überfallen wurde.

Die Frau schleppte sich noch nach Hause, wo ihre Schwester ärztliche Hilfe rief. An einem Paar schwarzer Sneakers von C. wurden später latente Blutspuren des Raubopfers gefunden.

"Aus Angst" nachgetreten

Auch die 25-jährige Mitarbeiterin des ÖVP-Politikers Othmar Karas, die nach dem Überfall über zwei Wochen in künstlichem Tiefschlaf lag und nur durch ein Wunder überlebte, will Marius C. nur mit der Faust attackiert und nach ihr getreten haben. Da die Frau nicht gleich zu Boden ging und zu schreien begann, habe er "aus Angst" nachgetreten. "Er muss ja mit dem Kopf Fußball gespielt haben", meinte Gerstberger zu den danach festgestellten Verletzungen.

Dass er die Eisenstange bewusst als Waffe für die Raubüberfälle aus der Erde gedreht haben soll, bestritt der Angeklagte. Die Stange sei dort angelehnt gewesen. Er habe sie bei einem nächst gelegenen Container entsorgen wollen. "Sie wollten den 10. Bezirk aufräumen, oder wie?", schüttelte Richterin Weis den Kopf. Den Überfall auf das 13-jährige Mädchen, dass von der Ostermesse auf dem Heimweg war, will er nicht begangen haben. Zu diesem Zeitpunkt habe er mit Freunden Ostern gefeiert. "Warum haben Sie das nicht bei der Polizei gesagt", fragte Weis. "Da hat mich keiner gefragt."

Laut Opferanwältin Sonja Scheed, die vier Mandatinnen vertritt, gehen die überfallenen Frauen völlig unterschiedlich mit den brutalen Attacken um. "Das sind junge, toughe Frauen mit schwersten Verletzungen", so Scheed. Während die einen völlig aus der Bahn geworfen wurden und sie den Angeklagten nicht sehen wollen, möchten die anderen ihrem Peiniger bei dem Prozess in die Augen schauen.

"Schauen sie, was Sie angerichtet haben!"

Auf die Aufforderung des Gerichts, sich umgekehrt das Foto einer der Frauen nach dem Überfall, der der 25-Jährigen fast das Leben gekostet hat, genauer anzusehen, drehte sich der 21-Jährige weg. "Ich will das nicht sehen", meinte Marius C., was den beisitzenden Richter Norbert Gerstberger laut werden ließ. "Schauen Sie hin! Schauen sie, was Sie angerichtet haben!", schrie der Beisitzende.

"Hätten Sie irgendwann aufgehört oder hat Sie nur die Festnahme gestoppt", fragte Vorsitzende Sonja Weis. "Ich glaube ja, wenn ich genug Geld gehabt hätte, um nach Rumänien zu fahren." Dass der 21-Jährige aufgrund seiner Aggression einer Behandlung bedürfe verneinte der Angeklagte vehement. "Sie haben bis jetzt so cool geantwortet. Es schaut aus, als ob Sie das gar nicht berührt innerlich", meinte Gerstberger. "Tut Ihnen das leid? Sie sitzen hier mit einer Emotionslosigkeit", hakte Weis nach. Immerhin hätten die Opfer der brutalen Raubserie ein Leben lang mit den Folgen zu kämpfen. "Ja, mir tut das leid. Die Frauen und ihre Familien haben wegen mir gelitten", meinte der Angeklagte. "In meiner Familie ist viel Unglück passiert, ich kann meine Gefühle nicht so ausdrücken", sagte der mit schwarzem Kapuzenpulli, schwarzen Jeans und grünen Badeschlapfen bekleidete Mann.

"Warum das Ganze?", fragte ihn die Richterin auch. "Ich hab das Geld gebraucht, um Lebensmittel zu kaufen und um zu überleben", meinte Marius C. Mit dem Geld habe er wieder zurück nach Rumänien reisen wollen. "Nicht einmal dafür habe ich das Geld gehabt." Dass seine Opfer nur Frauen waren, sei Zufall gewesen. Beim Spazierengehen habe er seine Opfer ausgewählt. Kurz nach seinem letzten Überfall auf eine 20-Jährige in der Nacht auf den 26. April wurde der 21-Jährige festgenommen.

Mit Brecheisen festgenommen

Detail am Rande: Die Polizei hatte den Rumänen bereits am 17. April festgenommen, weil er nachts mit einem Brecheisen unterwegs war. Sie ließen ihn allerdings wieder laufen, woraufhin der Mann zwei weitere Überfälle begehen konnte. Der Prozess ist für drei Tage anberaumt, am Freitag soll ein Urteil erfolgen. (APA, 16.12.2014)