"Bei Hinterziehung sind nicht nur Strafe und Kontrollen relevant, sondern auch, wie das System empfunden wird", sagt der Steuerpsychologe Herbert Schwarzenberger.

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STANDARD: In Ihrer Dissertation schreiben Sie, dass die Frage, warum Steuern gezahlt werden, interessanter ist als jene, warum sie hinterzogen werden - wie sind Sie darauf gekommen?

Schwarzenberger: Das Bild vom Menschen als rationalen Nutzen-optimierer ist in der Ökonomie bis heute vorherrschend. In der Realität zeigt sich aber, dass dieses Bild nicht stimmt und Menschen viel differenzierter agieren. Bei der Steuerehrlichkeit geht es nicht nur um kühle Berechnungen von möglicher Ersparnis oder Strafe. Einstellungen, Motive und Emotionen spielen eine wichtige Rolle. Aus dieser Perspektive ist die Frage, was die Menschen tatsächlich bewegt, ihre Steuern zu zahlen, zentral.

STANDARD: Warum hat das reduzierte Bild des Menschen als rein rationales Wesen bis heute gehalten?

Schwarzenberger: Weil es ein sehr einfaches Modell ist, mit dem menschliches Verhalten scheinbar simpel vorhergesagt und berechnet werden kann. In einer immer komplexeren Welt bieten solche Modelle Orientierung.

STANDARD: Was sind aus psychologischer Sicht die entscheidenden Faktoren?

Schwarzenberger: Mit dem "Slippery-Slope-Modell" des Wirtschaftspsychologen Erich Kirchler gesprochen, sind zwei zentrale Faktoren dabei Macht und Vertrauen. Bei Vertrauen handelt es sich um Vertrauen in die staatlichen Organe und in den sinnvollen Einsatz von Steuermitteln. Macht hat ein Apparat dann, wenn die Strafen, die er verhängt oder androht, abschreckend wirken. Diese beiden Faktoren erzeugen unterschiedliche Formen von Kooperation - nämlich freiwillige und erzwungene Steuerehrlichkeit. In einem System, in dem das Vertrauen ausgeprägt ist, zahlen die Bürger ihre Steuern freiwillig. Wenn das System Macht und Autorität ausstrahlt, werden die Steuerzahler gezwungen, zu bezahlen, jedoch werden sie Schlupflöcher ausnutzen, sobald sie diese finden. Sind weder Vertrauen noch Macht sichtbar, werden die Bürger geradezu zur Hinterziehung verleitet.

STANDARD: Wo steht Österreich zwischen Vertrauen und Macht?

Schwarzenberger: Im Vergleich zu anderen Ländern ist die Steuerehrlichkeit in Österreich relativ hoch. In vergleichbar wohlhabenden Staaten wie in der Schweiz, ist sie allerdings wesentlich stärker ausgeprägt. Es gibt in Österreich teilweise die Grundhaltung - das wurde auch in Studien belegt -, dass Steuervermeidung und -umgehung positiv bewertet werden. Das wird weniger als Delikt oder Betrug, sondern mehr als Cleverness und das legitime Ausloten von Grenzen gesehen.

STANDARD: Werden steuerpsychologische Einsichten in der aktuellen Debatte ausreichend berücksichtigt?

Schwarzenberger: Nein. Man hat den Eindruck, dass es bei den diskutierten Steuerreformen in Österreich primär um Klientelpolitik geht. Übertrieben innovativ ist das nicht. Es gibt auch keine ausreichende Positionierung der Finanzbehörden in Richtung Serviceorientierung, die aus steuerpsychologischer Sicht besonders sinnvoll wäre. Denn es gibt weitaus mehr Menschen, die ehrlich bezahlen und kooperieren, als solche, die hinterziehen.

STANDARD: Sie haben empirisch zu Steuerehrlichkeit gearbeitet - welche Typen haben Sie dabei gefunden?

Schwarzenberger: Wir haben auf der Basis verschiedener Parameter vier Grup-pen identifiziert, die-se haben wir als die "solidarische", die "unsolidarische", die "kritische" und die "strategische" beschrieben. Die "Solidarischen" und die "Kritischen" sind fast durchwegs steuerehrlich, die "Unsolidarischen" und die "Strategischen" neigen hingegen zur Hinterziehung.

STANDARD: Welche Faktoren sind entscheidend für das Steuerverhalten?

Schwarzenberger: In unserer Studie zeigte sich, dass Bildung oder Geschlecht dabei keine entscheidende Rolle spielen, sondern vor allem das Einkommen und die politische Orientierung. Die "Solidarischen" ordnen sich politisch dem linken Spektrum und der Mitte zu und haben ein eher geringes Einkommen. Die "Unsolidarischen" positionieren sich politisch rechts und sind in allen Einkommensschichten zu finden. Die "Kritischen" stehen dem Steuersystem besonders skeptisch gegenüber, agieren aber ehrlich. Wir haben sie in den höchsten Einkommenskategorien gefunden und besonders wenige im rechten Spektrum. Die "Strategischen" sind Zocker, sie loten die Grenzen aus. Sie haben mittlere Einkommen und stehen politisch rechts.

STANDARD: Österreich gilt als Hochsteuerland - regt das zur Hinterziehung an?

Schwarzenberger: Aus ökonomischer Perspektive müsste ich jetzt sagen: Ja, hohe Steuern werden als hoher Verlust wahrgenommen und erhöhen dadurch die Bereitschaft zu hinterziehen. In empirischen Studien konnte das aber nicht eindeutig nachgewiesen werden. Aus wirtschaftspsychologischer Sicht sind nicht nur Steuersatz, Strafen oder Kontrollen relevant, sondern auch, wie das System empfunden wird.

STANDARD: Entscheidet sich an der Reichensteuer die Gerechtigkeit des Steuersystems oder kommt es auf den Gesamtmix an?

Schwarzenberger: Diese Frage sollte man aus wirtschaftspsychologischer Perspektive ganzheitlich betrachten, und dann ist die Reichensteuer alleine nicht entscheidend für die erlebte Gerechtigkeit eines Systems. Relevant ist auch, die Staatsfinanzen nicht nur einkommensseitig anzusehen, die Ausgabenseite ist ein psychologisch interessantes Thema. Wenn die Steuern sinnvoll und effizient eingesetzt werden und das sichtbar passiert, verstärkt das eindeutig die Steuerehrlichkeit. (Tanja Traxler, DER STANDARD, 17.12.2014)