Wer die letzten Tage und Monate nachrichtlich Revue passieren lässt, könnte durchaus zu der Überzeugung gelangen, dass die Welt wieder mehr in Richtung Abgrund driftet. Rette sich, wer kann, ist die Devise, die vielerorts unterbewusst schon ausgegeben wird. In Europa beschleicht viele Menschen das Gefühl, dass Terroranschläge geografisch nicht mehr so weit entfernt sind, wie sie das noch vor einem Jahr schienen.

Die Sorge ist berechtigt, die alles entscheidende Frage allerdings, wie darauf zu reagieren ist. Die deutsche Pegida-Bewegung, die sich binnen kürzester Zeit einen Namen gemacht hat, weiß offenbar die Antwort darauf: Die Überfremdung – was auch immer das sein soll – muss gestoppt werden. Nun lesen sich die Forderungen von Pegida durchaus vernünftig. So werden in ihrem Positionspapier schnellere Asylverfahren, bessere Unterbringung und Betreuung von Asylwerbern sowie ein zentraler Verteilungsschlüssel für alle EU-Staaten gefordert. Dagegen ist wenig einzuwenden.

Weniger präzise ist man da schon bei der "Null-Toleranz-Politik" gegenüber straffällig gewordenen Asylwerbern und, ja, Migranten. Heißt das etwa, dass integrierte Migranten nach einem Diebstahl abgeschoben werden sollen? Und der proklamierte Widerstand gegen "frauenfeindliche Ideologien" geht bei Pegida mit der gleichzeitigen Verdammung des "wahnwitzigen" (sic!) "Gender-Mainstreaming" einher.

Feindbild "Gutmenschentum"

Die bunte Auswahl an Themen, die es in dieses Positionspapier geschafft haben, verdeutlicht, warum plötzlich so viele, die von sich sagen, sie kämen aus der "Mitte der Gesellschaft", für Pegida auf die Straße gehen. Im Grunde genommen sind sie alle Empörte, deren Empörung nicht der eines Rechtsextremisten und Rassisten gleichen muss, aber nach denselben Mustern funktioniert.

Was alle Pegida-Anhänger eint, sind die Feindbilder, die schon jetzt relativ klar ausgemacht werden können: einerseits der Islam beziehungsweise der Islamismus (je nach Lust und Laune), andererseits das "Gutmenschentum", das den Verfall des Abendlandes in den "Propagandamedien" und die Infiltration von außen noch befördert. Sie werden als Ursprung dieses dumpfen Bauchgefühls ausgemacht, dass etwas nicht (mehr) stimmt.

Schwarz-weiße Erklärungsmuster

Es wäre eigentlich ein Leichtes, Pegida etwas entgegenzusetzen, würden die Politik im Speziellen und die Gesellschaft als Ganzes die Angstgefühle in der Bevölkerung ernst nehmen. Dazu müsste man die schwarz-weißen Erklärungsmuster, die keine Differenzierung zulassen, einfach als solche benennen und versuchen aufzubrechen. Es ist eben nicht okay, dem Nachbarn, der freitags in die Moschee geht, künftig mit Misstrauen zu begegnen, weil effekthascherische Zeitungen ein Bedrohungsszenario abbilden.

Egal wie viele Menschen sich aus der Mitte Europas mittlerweile der IS-Terrormiliz angeschlossen haben, die alltäglichen Regeln des Zusammenlebens darf das nicht beeinträchtigen. Da allerdings offenbar viele – Rechte wie Linke – nicht zwischen größeren geopolitischen Kontexten und ihrer eigenen Lebenswelt zu unterscheiden vermögen, rumort es jetzt ordentlich. Sowohl die "Abendlandverfechter" als auch die "Toleranzverfechter" beharren auf ihren Positionen und schieben sich gegenseitig den Schwarzen Peter zu.

Die Politik tut ihr Übriges dazu. Sie setzt zwar auf rhetorische Distanzierung von allem, was irgendwie eine Bedrohung für die Gesellschaft darstellen könnte. Entsprechende langfristige Aufklärungs- und Bildungsmaßnahmen, die das Zusammenleben insgesamt verbessern sowie verhindern, dass alle Seiten in ihre Sündenbocktheorien abgleiten, unterlässt sie jedoch tunlichst. Wieso mühsam differenzieren, wenn es sich mit dem Populismus doch so viel besser lebt? (Teresa Eder, derStandard.at, 17.12.2014)