Simon Keenlyside, singender Intellektueller: "Meine Kenntnisse des Vogelgesangs sind für meine Interpretation von Papageno irrelevant."

Foto: Robert Newald

Wien - Er kommt ein paar Minuten zu spät, entschuldigt sich dann, er könne leider nur kurz sprechen. Die vier- bis fünfstündigen Proben vor der Rigoletto-Premiere am kommenden Samstag und dann noch stundenlanges Sprechen, erklärt Simon Keenlyside fast schüchtern, das sei einfach zu viel für die Stimme.

Als die Mitarbeiterin des Pressebüros der Staatsoper 15 Minuten später an die vereinbarte Zeit erinnert, winkt er ab: "Alles okay - I am fine." Der britische Bariton wechselt zwischen ausgesprochen flüssigem Deutsch und englischen Spontanreaktionen, reagiert im Gespräch mit ungeschützter Unmittelbarkeit.

Nein, er habe grundsätzlich nichts gegen Interviews, nur die geschilderte Arbeitsbelastung mache es ihm schwer, das auch noch unterzubringen. Und nein, er sei kein großer Denker - als der er sich etwa auch in der Hauszeitschrift Prolog dennoch neuerlich zu erkennen gibt. Fast verächtlich wischt er das zur Seite: "Ach! Ich bin ein Affe auf der Bühne, nichts als ein Bühnenaffe. Man könnte den ganzen Tag reden, wie interessant und kompliziert das ist, was man macht, und auf der Bühne gar nichts bringen. Aber ein Künstler muss alles auf der Bühne erklären können."

Wir entschließen uns, das Gespräch dennoch nicht an dieser Stelle zu beenden, aber es mäandert beträchtlich. Er reagiert blitzschnell, mit der Emotionalität eines frisch Verliebten, mit dem Reflexionsniveau eines Akademikers und mit allgegenwärtiger Ironie. Dass einer seiner komplexen Gedanken schwer zu verstehen sei, schmettert er ab: "Aber nein! Das ist nur, weil mein Deutsch so einfach ist!"

Zoologie in Cambridge

Manchmal scheint es durchzuklingen, dass Keenlyside auch Naturwissenschaft - genauer: Zoologie in Cambridge - studiert hat. Ob das noch immer einen Einfluss auf sein Denken hat? "Für mein Leben spielt das eine große Rolle. Auf der Bühne nicht. Meine Kenntnisse des Vogelgesangs sind für meine Interpretation von Papageno irrelevant." (Er sagt auch: "wurscht".)

Es ist bei ihm nicht leicht, zwischen Understatement und Bescheidenheit zu unterscheiden. Die Gestaltungskraft, die er in der Oper und besonders auch im Liedgesang erreicht hat, scheint er jedenfalls ziemlich relativ zu sehen, auch wenn sich in den Anforderungen, die er für sich selbst formuliert, seine Qualitäten - als Anspruch - wiederfinden.

Das Konzertpodium sieht Keenlyside dementsprechend vor allem als Herausforderung: "Das ist viel schwerer für mich als Oper. Beim Liederabend bin ich Simon. Das ist viel herausfordernder, als eine Bühnenrolle zu verkörpern. In der Oper spielt die ganze sozialpolitische, sexuale Kultur hinein, die tektonischen Räume von Zwang und Freiheit auf vielen Ebenen. Bei Liedern geht es darum, wie man als Einzelner leben und lieben kann." (Auf Englisch bildet er die Reihe "to love, to live, to leave, to be happy ...".).

Die Freiheit - auf vielen Ebenen - ist für ihn ein zentrales Thema: "Ich finde es sehr interessant, dass gerade hier in Wien seit der Zeit Mozarts und der Französischen Revolution der Diskurs über Freiheit so wichtig ist. Ich denke, dass Verdi im Zusammenhang mit der italienischen Revolution die Aufgabe von Mozart übernommen hat, verschiedene Aspekte von Freiheit zu diskutieren. Wunderbarerweise gibt es im Kunsthistorischen Museum in Wien ein Bildnis des Hofnarren Gonella (von Jean Fouquet, Anm.). Diese Figur war die Basis für Rigoletto - und das Original ist in Wien!"

Ja, der buckelige Hofnarr Rigoletto, der so oft animalisch gezeichnet wird (bislang auch in Wien): "Diese Zeichnung der Rolle mag ich auch nicht. Überhaupt sind uns die meisten Opernfiguren viel ähnlicher, als wir glauben. Sie sind nur ein bisschen extremer. Darum können wir uns in ihnen wiedererkennen. Wenn es aber zu extrem dargestellt ist, dann ist es nur ein Zirkusspiel und bedeutet uns nichts. Oper hat doch mit dem echten Leben zu tun - und mit Menschlichkeit."

Eine Lanze für die Vaterliebe

Dazu gehört für Keenlyside bei Giuseppe Verdi auch, dass der Komponist, wie er meint, nicht über seine Figuren urteilt. Rigoletto sei nicht gut und nicht böse, allerdings ein äußerst schwierig zu zeichnender Charakter: "Verdi zeigt in jeder Szene andere Seiten, für die man jeweils eine eigene Farbe finden muss und die im Stück dann nie wieder kommen: Rigoletto erscheint in der ersten Szene ganz böse und gemein, in der nächsten Szene sieht man ihn als Vater mit seinem Kind. Und so geht es weiter. Die Seiten seines Charakters tauchen wie getrennt voneinander auf - das klar zu vermitteln ist die größte Herausforderung bei dieser Rolle." (Daniel Ender, DER STANDARD, 18.12.2014)