Stellenweise klang Barack Obama, als würde er Wort für Wort wiederholen, was Willy Brandt und Egon Bahr einst über ihre Ostpolitik sagten – Wandel durch Annäherung. Die vergangenen fünf Dekaden hätten gezeigt, dass der Versuch, Kuba zu isolieren, schlicht nicht funktioniere: "Es ist Zeit für einen neuen Ansatz". Weder den USA noch dem kubanischen Volk sei gedient mit einer Strategie, die darauf abziele, den Inselstaat an den Rand des wirtschaftlichen Ruins zu treiben. Das Tauwetter bedeute aber nicht, dass sich Washington nicht weiterhin für die Demokratisierung auf Kuba einsetze. Im Gegenteil, indem man auf Havanna zugehe, könne man wirksamer für seine eigenen Werte werben.
"Wir sind alle Amerikaner"
"Todos somos Americanos", "Wir sind alle Amerikaner", sagt Obama zum Schluss seiner kurzen Rede. In die praktische Diplomatie übersetzt, bedeutet es, dass sich das Weiße Haus nicht länger dagegen sträubt, Kuba an Gipfeltreffen der Organisation Amerikanischer Staaten teilnehmen zu lassen, eines Verbundes, aus dem die Karibikinsel fünf Jahrzehnte ausgeschlossen war. Außenminister John Kerry soll prüfen, welchen Sinn es noch macht, die Regierung in Havanna in die Schublade staatlicher Sponsoren des Terrors zu stecken.
Die bereits gelockerten Reiseregelungen – US-Amerikaner mit kubanischen Wurzeln dürfen ihre Verwandten schon lange wieder besuchen – sollen um ein paar zusätzliche Nuancen liberalisiert werden, ohne dass die Schranken für Touristen komplett fallen. Das Limit für Überweisungen an kubanische Bürger wird angehoben: Waren bisher 500 Dollar pro Quartal erlaubt, so sind es fortan 2000. Das wichtigste Ergebnis aber ist dies: Nach fast 54 Jahren Pause tauschen Washington und Havanna wieder Botschafter aus.
Der Durchbruch, so schildern es Berater des Weißen Hauses hinter den Kulissen, wurde am Dienstag im Laufe eines 60-Minuten-Telefonats Obamas mit seinem Amtskollegen Raul Castro erzielt. Es war eine Stunde für die Geschichtsbücher, das erste direkte Gespräch, das Staatschefs beider Länder seit der kubanischen Revolution führten. Beide hätten sich darauf verständigt, die im Jänner 1961 abgebrochenen diplomatischen Beziehungen wieder aufzunehmen.
"Der Rest ist reine Logistik, es dürfte schnell gehen", sagt einer der Ratgeber, den man nur zitieren darf, sofern man seinen Namen nicht nennt. Im Übrigen, wenn es eine Politik gebe, deren Verfallsdatum längst überschritten sei, dann sei es die Isolation Kubas. Hochzufrieden skizziert der Mann ein Kapitel Geheimdiplomatie, das an den Dialog zwischen Israelis und Palästinensern erinnert, der 1993 mit dem Osloer Autonomie-Abkommen endete. Kein Wort nach draußen, kein Leck, durch das brisante Informationen gesickert wären. Strengste Verschwiegenheit, und deshalb Resultate.
Demnach trafen sich Emissäre Kubas und der USA im Juni 2013 erstmals in Kanada, wo der Dialog bis November 2014 fortgesetzt wurde. Eine wichtige Rolle habe auch der Vatikan gespielt. Papst Franziskus habe nicht nur vermittelt zwischen Abgesandten beider Parteien, sondern sich im Sommer in eindringlichen Appellen an Obama und Castro gewandt und damit für neuen Schwung gesorgt.
Die letzte Hürde räumten die beiden Präsidenten aus dem Weg, als sie in der Causa Alan Gross einen Deal schlossen, ein klassisches Tauschgeschäft. Der 65-jährige, inzwischen offenbar schwerkranke IT-Spezialist aus Maryland war im Dezember 2009 festgenommen und später zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt worden, weil er Satellitentelefone an Mitglieder der jüdischen Gemeinde auf Kuba verteilt haben soll. Neben Gross kommt ein Häftling frei, dessen Namen das Oval Office für sich behält. Der Spionage für schuldig befunden, war er vor 20 Jahren eingesperrt worden. Im Gegenzug lässt Washington drei kubanische Spione ziehen.
Dicke Bretter muss Obama hingegen noch bohren, wenn er das Handelsembargo beenden will. 1962 verhängt, wurde es 1996 mit dem Helms-Burton Act der Ära Bill Clinton noch einmal verschärft und festgezurrt. Für die ältere Generation der Exilkubaner, im politisch hart umkämpften Florida noch immer eine Macht, wenn auch eine mit schwindendem Einfluss, ist es ein Sakrileg, an dem Gesetz auch nur zu rütteln. Korrigieren kann es nur das Parlament, und in dem haben ab Januar die Republikaner, traditionell eher einer harten Linie verpflichtet, ohne Abstriche das Sagen. "Wir werden auf den Kongress zugehen", kündigt Obama vorsichtig an. Es klingt, als würde es ein ähnlich diffiziler Gesprächsmarathon wie der mit Raul Castro. (Frank Hermann, DER STANDARD, 18.12.2014)