Wien – Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) sieht die österreichischen Banken durch die Rubelabwertung in Russland nicht bedroht. Ein Bankenrettungspaket sei "derzeit kein Thema und nicht absehbar", sagt er im STANDARD-Interview. Thomas Wieser, Chef der Arbeitsgruppe der Euro-Finanzminister in Brüssel und neuer Leiter einer beratenden Expertengruppe im Finanzministerium in Wien, hält die Auswirkungen der Russlandkrise auf die Banken für überschätzt. Beim Thema Steuerreform gesteht der Minister ein, dass die Debatte "durchaus glücklicher" laufen hätte können. Jetzt werde über Details wie Dienstautos oder Privilegien diskutiert. "Ich will heraus aus diesen künstlichen Einzeldiskussionen."

STANDARD: Sie haben in Brüssel ganz gut zu tun, woher nehmen Sie die Zeit, jetzt auch den österreichischen Finanzminister zu beraten und eine Kommission zu leiten?

Wieser: Ich kümmere mich um alle 28 Mitgliedsstaaten, um manche intensiver als um andere. Uns fehlt auf europäischer Ebene narrativ eine Zielsetzung, wo wir in fünf oder zehn Jahren sein wollen. Mit der Kommission Juncker gibt es eine gute Möglichkeit, das zu entwickeln. Das bedingt aber auch, dass die Mitgliedsstaaten so ein Narrativ entwickeln und sich langfristige Zielsetzungen vornehmen. Ich finde es gut von Minister Schelling, dass er einen solchen Prozess in Österreich startet.

Schelling: Österreich braucht die Vernetzung, wir brauchen einen gemeinsamen Gedankengang, wo wir uns hinentwickeln. Dieses Projekt, das wir jetzt aufsetzen, ist beispielhaft. Aus dem Tagesgeschäft heraus können wir das nicht machen, wir sind ausreichend mit anderen Problemfeldern versorgt. Wir wollen Know-how von außen hereinbekommen, wir wollen Überlegungen anstellen, was die wirklichen Herausforderungen sind. Neben der Finanz- und Wirtschaftsexpertise müssen wir auch das Querdenken hereinholen, das werden Hengstschläger und die anderen Experten liefern.

Eine Expertengruppe rund um Thomas Wieser soll Finanzminister Schelling (re.) bei Finanz- und Wirtschaftsthemen beraten
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STANDARD: In Österreich wird eine Steuerreform im Ausmaß von fünf bis sieben Milliarden Euro diskutiert. Wird Ihnen nicht unwohl, wenn Sie sehen, dass da noch keine Gegenfinanzierung festgeschrieben ist?

Wieser: Das ist ein ganz anderes Thema. Womit wir uns beschäftigen: Was ist die Stellung von Europa in einer globalisierten Wirtschaft? Haben wir überhaupt eine Idee, was unsere Position ist? Die Schwierigkeiten, die wir in den letzten Jahren in der Eurozone gehabt haben, sind nicht Probleme des Euro. Es ging darum, dass Mitgliedsstaaten die Adaptierung an die Globalisierung nicht geschafft haben - sei es Griechenland, Italien oder Portugal. Für einen Staat wie Österreich, der die Krise relativ gut gemeistert hat, ist es wichtig, weiterhin an der Spitze zu bleiben, aber dazu muss man die Probleme erkennen und Aktivitäten setzen. Die Steuerreform hat etwas zu tun mit Gesamtnachfrage, mit Anreizen, die kurzfristig wirksam sind. Für uns ist viel wichtiger, welche Ziele man sich über fünf, zehn Jahre hinaus setzen kann.

Schelling: Dieser Rat, den wir eingesetzt haben, hat absolut nichts mit den operativen Tagesthemen zu tun, weder mit dem Budget noch mit der Steuerreform. Wir denken in eine sehr breite Ebene hinaus. Und ich darf Ihnen widersprechen: Bei der Steuerreform gibt es mindestens zwei Konzepte zur Gegenfinanzierung. Wir sind ja ausreichend dafür gescholten worden, dass man sich die Konzepte gegenseitig ausrichtet. Ich habe nicht damit angefangen.

STANDARD: Die Konzepte sind sehr widersprüchlich.

Schelling: Wenn in Österreich kein Wettbewerb der Ideen stattfindet, kommen wir auch zu keiner Lösung. Wenn alle politischen Parteien mir zugestimmt haben, dass Österreich ein Ausgabenproblem hat, dann finde ich da keinen Zugang, warum man das jetzt über Einnahmen lösen soll.

Österreich hat ein Ausgabenproblem, findet der Minister
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STANDARD: Bereuen Sie schon, dass Sie die Expertenkommission zur Steuerreform eingesetzt haben? Jetzt werden alle Detailvorschläge öffentlich diskutiert.

Schelling: Es wird viel spekuliert in der Öffentlichkeit, das muss man hinnehmen. Am Schluss zählt das Ergebnis. Die gemeinsam festgelegten Ziele in der Konsolidierung werden ohne Strukturreform aber nicht gehen. Daher habe ich auch den Vorschlag gemacht, dass wir eine zweite Phase der Steuerreform ansetzen, allerdings mit der Auflage, dass wir jetzt beginnen, die Bereiche Arbeitsmarkt, Pensionen und Verwaltung zu restrukturieren. Sie wissen, wie lange es dauert, bis eine Reform der Verwaltung wirksam wird. Wenn uns das gelingt, können wir zusätzlich zwei Milliarden angehen. Man kann trefflich darüber diskutieren, ob man alles auf Entlastung und damit auf den Konsum und die Sparquote setzt oder ob man auf nachhaltige Investitionen setzt, um nachhaltiges Wachstum zu erreichen. Einig sind wir darüber, dass die Belastung auf den Faktor Arbeit zu hoch ist, das löst man aber nicht, indem man neue Steuern einführt.

STANDARD: Die EU-Kommission sagt immer wieder, dass man die Besteuerung von Immobilien über die Grundsteuer anheben könnte.

Schelling: Jeder Vorschlag ist zugelassen. Am Schluss muss die Politik Entscheidungen treffen. Die Regierung hat jetzt an Lösungen zu arbeiten und soll nicht darüber diskutieren, was passiert, wenn die Lösungen scheitern.

STANDARD: Haben Sie nicht Angst, dass die kontroverse Diskussion auch das Vertrauen der Bevölkerung erschüttert?

Schelling: Es hätte durchaus glücklicher laufen können. Ich habe davor gewarnt, dass man eine öffentliche Diskussion über die Konzepte macht. Die SPÖ hat sich zu einem anderen Weg entschlossen. Sie hat gesagt, wir übernehmen das ÖGB-AK-Konzept in unser Parteiprogramm. Wie sich jetzt herausstellt, ist selbst das nicht ganz reibungslos gelaufen. Dann haben alle nach einem Konzept der ÖVP verlangt. Als wir es vorgestellt haben, hieß es: Ist das notwendig, dass das öffentlich diskutiert wird? Wenn ein Konzept öffentlich diskutiert wird, sollten beide Konzepte diskutiert werden. Wenn die SPÖ ihr Konzept der Vermögenssteuer hochspielt, können Sie von mir nicht verlangen, dass ich nicht auch mein Konzept präsentiere. Jetzt diskutieren alle die Details, Pauschalen, Dienstautos, Privilegien. Ich will heraus aus diesen künstlichen Einzeldiskussionen, jetzt muss es um ein strategisches Konzept gehen, ich hoffe, dass sich die Bundesregierung zu diesem Weg entschließen wird.

STANDARD: Welche Auswirkung hat die dramatische Abwertung des Rubels in Russland auf Österreich und die europäische Ebene?

Wieser: Eine Frage ist, wie man mit der Ukraine umgeht und ob es dort den politischen Willen gibt, ein zusätzliches Programm auf Schiene zu bringen. Die Mittel des Internationalen Währungsfonds sind beschränkt. Die einzelnen EU-Mitgliedsstaaten werden also beraten müssen, ob es da zusätzliche Mittel braucht.

Die Ukraine könnte von den EU-Ländern weitere Geldspritzen benötigen, meint Thomas Wieser
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STANDARD: Waren die Sanktionen gegen Russland ein Fehler? Die russische Wirtschaft leidet, in der Folge auch die dort tätigen Unternehmen wie Raiffeisen. Könnte das dazu führen, dass weitere Bankenrettungsmaßnahmen nötig werden?

Schelling: Das ist derzeit kein Thema und nicht absehbar. Politisch waren die Sanktionen richtig. Außerdem: Nach langen Verhandlungen mit der EU-Kommission ist es uns gelungen, bei der letzten Sanktionsstufe das Thema Finanzierung durch die Banken herauszuhalten. Dass der Rubelverfall aber auch Österreich treffen wird - etwa im Tourismus - ist natürlich nicht angenehm.

STANDARD: Gibt es Auswirkungen auf Banken, die dort engagiert sind?

Wieser: Wenn man sich nur den Rubelkurs anschaut, wird massiv überschätzt, welche Auswirkungen das auf das inländische Wachstum in Russland hat. Wenn der Ölpreis wieder anzieht, wird sich das Wachstum auf niedrigem Niveau stabilisieren. Insofern: Es trifft alle Banken, keine Frage. Aber derzeit bezweifle ich, dass es wirklich ein Problem gibt.

STANDARD: Ist Raiffeisen vorstellig geworden?

Schelling: Nein, in keiner Weise. Das Hauptproblem sind die russischen Banken. Das ist auch ein Thema, das wir in dieser Runde diskutieren wollen: Welche Auswirkungen haben diese Entwicklungen auf die Währungspolitik, auf die Frage der internationalen Kooperationen. Und ehrlich gesagt: Österreich hat viele Jahre auf Märkte wie Russland und Weißrussland gesetzt. Jetzt wird man notwendigerweise auch in andere Märkte gehen müssen. (Günther Oswald, Michael Völker, DER STANDARD, 18.12.2014)